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Demokratie will gut gemanagt sein

Gewaltenteilung, Korruption, Wirtschaftswachstum – auf den ersten Blick abstrakte Begriffe. Doch diese Themen betreffen den Alltag von Milliarden Menschen – und entscheiden über den Erfolg des demokratischen Modells.

Ihr Kern ist nicht verhandelbar: Demokratie bedeutet die Gleichheit aller Bürger vor Recht und Gesetz und ihre Teilhabe an Gesellschaft und Politik. Wo das nicht gelingt, wird sie nicht entstehen. Demokratischer Wandel ist kompliziert und fragil. Ein politisches System zu demokratisieren macht viel Arbeit, erfordert umsichtige Manager und Akteure in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Der diesjährige Bertelsmann Transformationsindex kommt dabei zu keinem guten Ergebnis: Die letzten zwei Jahre brachten keine echte Trendwende für mehr Demokratie weltweit.

Sturz des Diktators heißt nicht mehr Demokratie

Und das, obwohl sich zwischen Ende 2010 bis 2013 eine Welle von Volksbewegungen erhob, wie es sie seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1989/90 nicht mehr gegeben hatte. Im Dezember 2010 begannen die Demonstrationen gegen die Diktatur in Tunesien. Die Welle des Protests griff in kürzester Zeit auf die arabischen Nachbarn über. In der ganzen Region wurden die Diktatoren aus ihren Palästen vertrieben: Ben Ali in Tunesien, Husni Mubarak in Ägypten, Muammar al-Gaddafi in Libyen, oder Ali Abdullah Saleh im Jemen.

In Russland setzte die Demokratiebewegung mit weißen Schleifen und Bändern ein Zeichen und wehrte sich gegen die Manipulation der Wahlen. Und in der Ukraine gingen erst vor wenigen Wochen zehntausende erneut auf die Straße, weil sie die enge Anbindung ihres Landes an das autoritär regierte Russland ablehnen.

Zähes Tauziehen, schwacher Rückhalt

Russland und die Ukraine, Tunesien und Ägypten sind aber auch Länder, die zeigen, wie umkehrbar der demokratische Prozess ist. In Tunesien ist um die Verfassung ein zähes Ringen entstanden – zwischen Säkularen und Islamisten. In Ägypten wurden die Uhren zurückgestellt: Dort hat inzwischen wieder das Militär das Sagen – wie zu Zeiten Husni Mubaraks. Und in der Ukraine ist die Gesellschaft zutiefst gespalten zwischen europäischen Werten und einer politischen Hinwendung zu Russland.

In allen diesen Ländern konnte sich die Demokratie bisher nicht durchsetzen! Das heißt, sie hat zwar für mehr Beteiligung gesorgt und hier und da für mehr Meinungsfreiheit. Doch zugleich wurde die Armut größer, das Leben teurer und unsicherer. Hier bleibt Demokratie ein unerfülltes Versprechen, denn sie hat nicht eingelöst, was sich Menschen von ihr erhofften: bessere Perspektiven und soziale Gerechtigkeit. Das demokratische Modell hat sich (noch) nicht ausgezahlt. Und das birgt Risiken.

Gutes Management = Schlüssel zum Erfolg

Der BTI untersucht, ob eine soziale Marktwirtschaft entsteht und er fragt: Wie sorgfältig und überzeugend wird der demokratische Wandel gemanagt? Denn überall, wo die Forderung nach mehr Demokratie von den Eliten als Instrument des Machterhalts oder Machtgewinns missbraucht wurde, hat es Wandel schwer oder ist gar ganz gescheitert: In Ägypten sprechen die Menschen in diesem Zusammenhang vom “tiefen Staat”. Und sie meinen damit das Militär; den eigentlichen Machthaber seit Jahrzehnten, dessen Netzwerke in Wirtschaft und Politik ungebrochen vor sich hin wuchern. Ein Akteur, der den demokratischen Wandel verhindert, um die eigenen Interessen zu wahren.

Ohne langen Atem geht es nicht

Der Index zeigt, dass es nicht nur des demokratischen Luftholens bedarf. Sondern dass es einen langen Atem braucht. Und dass stabile und rechtsstaatliche Institutionen wichtig sind. Vor allem aber: Es bedarf einer klaren Mehrheit für das demokratische Modell. “Transformation” ist eben noch nicht Demokratie – sondern die Entwicklung dorthin. Und die geht einher mit massiven Umverteilungsprozessen und politischer Instabilität.

Die Deutsche Welle ist der Demokratieförderung seit mehr als 60 Jahren verpflichtet. Als journalistischer Begleiter aus der Mitte Europas werben wir für europäische Grundwerte, Demokratie und Menschenrechte. Und mit unseren Programmangeboten in 30 Sprachen geben wir den Machern demokratischer Veränderung ein Forum, decken Schwierigkeiten auf und rücken Erfolge ins Bild.

DW-Reporter überraschen mit persönlichen Geschichten

Der diesjährige Bertelsmann Transformationsindex war für uns deshalb ein guter Grund, auf die Erfolgsfaktoren für demokratische Entwicklung zu schauen. Gibt es gar ein Erfolgsrezept?

DW-Reporter gehen den Analysen des Indizes im Zeitraum von 2006 bis 2014 nach – mit eigenen Recherchen und mit überraschenden Ergebnissen: Spannende persönliche Geschichten und Reportagen sind entstanden. Werfen Sie mit uns einen Blick hinter die Schlagzeilen! Es lohnt sich.

Kommentar: EU-Flüchtlingspolitik – Ein Armutszeugnis

Nach der Katastrophe vor Lampedusa haben die EU-Innenminister über die europäische Flüchtlingspolitik beraten – ohne Ergebnis. Damit haben sie die Chance für einen humanitären Neuanfang verschenkt, findet Ute Schaeffer.

Politik und Realität haben manchmal wenig miteinander zu tun – das gilt auch für die Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa. Es ist ein unerträglicher Widerspruch: Während die Zahl der Flüchtlinge, die vor Europas Küste ertrunken sind, immer weiter ansteigt und allein bei dieser Katastrophe bisher mehr als 270 Tote geborgen wurden, belassen es die Politiker in den klimatisierten Konferenzräumen in Brüssel dabei, nichts zu beschließen. Das ist feige, das ist unmoralisch – und es ist kurzsichtig, denn Afrika und Europa trennen bei Lampedusa nur etwas mehr als 100 Kilometer Meer. Und das heißt: Morgen schon kann die nächste Katastrophe geschehen, und Europa nimmt es sehenden Auges hin.

Armut, Krieg und Terror setzen Menschen in Bewegung

Es ist daran zu erinnern: Die Armut, vor der die Menschen fliehen, ist weder selbst gemacht noch selbst gewählt. Sie ist verursacht durch Korruption, Krieg und Terror. Und sie ist mit verursacht durch unsere europäischen Handelsschranken, unsere Zölle, unseren Konsum. Wer einmal bei den Afrikanern aus Nigeria oder dem Senegal war, die als “Illegale” in Marokko oder Libyen gestrandet sind, weiß, sie wollen nur eines: um jeden Preis auf ein Boot nach Europa. Und der weiß auch, wie verzweifelt diejenigen sind, die dann ein paar Wochen später vor Europas Küsten ohne Gesicht und ohne Namen ertrinken. “Glaubst Du, einer von uns würde aufbrechen, wenn wir zuhause für uns und unsere Familie eine Perspektive sähen?!”, wird die Reporterin aus Deutschland gefragt. Nein, kaum einer würde aufbrechen.

Jeder ist sich selbst der Nächste

Da muss die Diskussion einsetzen. Und es wirkt fast zynisch, wenn der einzig fassbare Entschluss der EU-Minister nun ist, die Boote der europäischen Grenzschutztruppe Frontex noch weiter draußen im Mittelmeer – und damit vor den italienischen Landesgrenzen – einzusetzen. Wir tun so, als ob wir uns gegen Kriminelle oder gegen Piraten wehren müssten.

Diese Menschen haben verdient, dass wir unsere Asyl- und Flüchtlingspolitik gewissenhaft überprüfen. Doch niemand – auch Italien und Deutschland nicht – will in Europa ernsthaft über Konsequenzen aus dem Drama diskutieren. Immerhin, der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich hat Vorschläge gemacht: stärker gegen Schleuser zu kämpfen und die Lage in den afrikanischen Ländern zu verbessern. Doch statt an diesem Punkt konkreter zu werden, lenkt Deutschland schon wieder ab. Während täglich Nussschalen und Fischerboote im Mittelmeer sinken, stößt Friedrich eine Debatte über die Armutsmigration innerhalb der Europäischen Union an. Seht her, welche Lasten Deutschland schon schultert, mehr ist uns nicht zuzumuten! Das ist das Zeichen, das der Innenminister setzen will.

Armutszeugnis im reichsten Land Europas

Ja, als großes Land in Europa zählte Deutschland im vergangenen Jahr mehr als 70.000 Asylbewerber – und damit mehr als viele anderen Mitgliedsstaaten. Doch gemessen an seinen 80 Millionen Einwohnern liegt unser Land nur im europäischen Mittelfeld. Mutiger, menschlicher und entschlossener kommt Schweden seiner humanitären Verantwortung nach und trägt mit 4625 Asylbewerbern pro einer Million Einwohnern die größte Last. Deutschland hingegen, das sich lautstark gegen eine Änderung des Asylrechts wehrt, kommt nur auf einen Schnitt von 945 Flüchtlingen pro einer Million Einwohner. Und Italien, das in diesen Tagen zu große Belastungen bei der Flüchtlingspolitik beklagt, nimmt gerade einmal 260 auf. Jeder ist sich selbst der Nächste.

Und keiner wagt, eine neue, verantwortungsvollere und humanitäre Flüchtlingspolitik anzustoßen. Deutschland, die größte europäische Volkswirtschaft, das Land mit der geringsten Jugendarbeitslosigkeit, hat nicht einmal die Größe, angesichts der aktuellen Katastrophen – ob vor Italien oder in Syrien – durch eine einmalige und großzügige Geste mehr Flüchtlingen Schutz zu gewähren. Was für ein Armutszeugnis – für das reiche Deutschland!