Das kritische Denken wird uns kein Algorithmus abnehmen – Wie gehen wir mit digitaler Desinformation um ?

Beitrag zur Publikation des Instituts für Auslandsbeziehungen “Meinungsmache im Netz”, Oktober 2018

Was hat der 17-jährige islamistische Attentäter, der in der Nähe von Würzburg Menschen in einem Regionalzug mit einer Axt angriff[1] gemein mit den rechtsextremen Demonstranten in Bautzen?[2] Was eint die demonstrierenden Russlanddeutschen bei ihrem Protest um die verschwundene 13-jährige Lisa[3] mit den Anhängern der rechtsextremen Identitären Bewegung, die das Brandenburger Tor erklettern und dort ein Transparent als Protest gegen Zuwanderung ausrollen?[4] Auf den ersten Blick nicht viel. Doch sie alle bezogen  ihre Informationen aus dem Netz und sie radikalisierten und vernetzten sich dort.[5]

Sie sind Beispiele dafür, wie massiv  der Einfluss von Desinformation und Propaganda auch in Deutschland ist.  Wie durch digitale Desinformation radikalisiert, polarisiert und gespalten wird. Auch in Deutschland nutzen externe Akteure und eine wachsende Zahl interner Akteure die digitale Verbreitung von Information und Desinformation für ihre Zwecke.

Zu den externen Akteuren, die Einfluss auf die politische Meinungsbildung in unserem Land nehmen,  gehört Russland, das mit seinem Auslandsfernsehen Russia Today auch in deutscher Sprache über das Netz verfügbar ist. Zu den Akteuren gehören auch die Erdoğan-treuen, ebenfalls staatlich kontrollierten türkischen Medien, welche heute in weit größerer Zahl als früher über das Netz für die türkischsprachige Zielgruppe in unserem Land verfügbar sind.  Dazu zählt weiter der „Islamische Staat“ (IS), der über seine Internetkommunikation auch in Deutschland junge gewaltbereite Islamisten anspricht und für seine Sache gewinnt.

Die Allianz der rechtspopulistischen, rechtsextremen und verschwörungstheoretischen Medien im Netz

Ein Akteur mit schnell wachsenden digitalen Reichweiten sind die Rechtspopulisten: die AfD mit ihren offiziellen Parteiaccounts und –plattformen im Netz und mit den nicht-offiziellen geschlossenen und offenen Facebook-Gruppen und Unterstützerforen – nutzt die sozialen Medien so intensiv wie sonst keine Partei. Doch sie ist nur e i n Akteur in einer Echokammer, die weit größer ist: Im Netz ist eine „Gegenöffentlichkeit“ entstanden, in der rechtspopulistische, rechtsextreme und verschwörungstheoretische Medien, Blogs und Gruppen eine Allianz eingehen. Sie verstärken sich gegenseitig: Inhalte werden von verschiedenen Plattformen eingesetzt,  sie werden retweetet und geteilt – und erzielen mitunter fünfstellige, manchmal sechsstellige Zugriffsraten. Reichweiten, welche die einzelnen Akteure allein kaum damit erzielen würden. Sie wollen Reichweiten und politische Wirkung erzielen – nicht nur im Netz, sondern auch in der politischen Diskussion und bei Wahlen. Und das gelingt, wie das Wahlergebnis der AfD zeigt.[6]

Falschinformationen sind in dieser digitalen Gegenöffentlichkeit verbreitet: „Obama hat die Terrororganisation IS gegründet!”, „Die Clintons wollen den dritten Weltkrieg anzetteln!”, „In der Ukraine regieren Nazis!”, „Die Bundesregierung plant die Umvolkung Deutschlands!”, heißt es dort oder Afrikaner und Araber kämen nach Europa, „um durch das gezielte Schwängern von Frauen den großen Volksaustausch zu befördern!”

Auf Desinformation richtig reagieren – weg mit den Irrtümern, ran an die Fakten!

Es ist ein Fehler, dieses antidemokratische, hasserfüllte Rauschen im Netz und die Desinformationen, die dort zirkulieren, kleinzureden oder gar auszublenden. Denn es wird bleiben und ganz sicher auch in Deutschland wachsen – und hat schon heute   Folgen für unser Miteinander, unsere Politik, unsere politische und demokratische Verständigung. Ändern kann sich nur unser Umgang damit.

Der fundamentale Wandel unserer Meinungsbildung und unseres öffentlichen Raums ist ein politisches Schlüsselthema unserer Zeit, denn die Akteure, die ihre demokratiefeindlichen, hetzenden und menschenfeindlichen Botschaften in unsere Gesellschaft treiben, zielen auf den Kern unserer politischen Ordnung, auf unser Miteinander, auf unsere Verständigungsbereitschaft. Sie untergraben das Vertrauen in die Sicherheit in unserem Land, in staatliche Strukturen – ob Regierung, Justiz oder Polizei – auf freiheitliche Prozesse und Institutionen. Kurzum: Sie zielen auf unsere Demokratie.

Höchste Zeit also sich Gedanken darüber zu machen, wie unsere Antwort darauf aussieht. Wann immer im Folgenden von „Wir“ die Rede ist, darf sich jeder angesprochen fühlen, der sich zur demokratischen Mehrheit in unserem Land zählt, der ein Interesse daran hat, sein soziales und berufliches Umfeld aktiv zu gestalten. Lehrer, professionelle Politiker oder Journalisten sind genauso gefordert wie diejenigen, die sich ehrenamtlich, sozial oder politisch privat engagieren. Wir sind aufgerufen, Ideen zu entwickeln, wie wir mit dem digitalen Wandel in unserer Gesellschaft und unserem öffentlichen Raum umgehen. Weniger um bereits weit entrückte Wutbürger umzustimmen – sondern weit mehr, um der demokratischen Mehrheit auch im digitalen Informationsraum Räume zu schaffen und um der weiteren Vergiftung des demokratischen Diskurses im Netz wirkungsvoll entgegen zu treten.

Damit das gelingt, gilt es mit einigen Irrtümern aufzuräumen.

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Irrtum 1: Desinformation hat doch keinen echten Einfluss!

Das stimmt leider nicht.

Desinformation hat gravierende und sehr reale Auswirkungen. Was als Tweet oder Post im Netz beginnt, führt oft zu praktischer Gewalt: Morddrohungen gegen Abgeordnete des deutschen Bundestags nach der Armenienresolution. Die gezielten Aggressionen in Dresden bei den Feiern am Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2016, der Brandanschlag auf eine Moschee in Dresden nur eine Woche zuvor. Polizeischutz für Abgeordnete wegen ihrer türkeikritischen Haltung. Unter den beiden größten Migrantengruppen, den Deutschtürken und Russlanddeutschen wenden sich viele von den etablierten Parteien ab. Der Verfassungsschutzbericht meldet für das Jahr 2016 einen Anstieg der Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund um 13,6 %. Die Zahl der über das Netz radikalisierten islamistischen Terroristen nimmt zu.

Die Schlagzeilen, die Kampfbegriffe und die Narrative finden ihre Wege aus den Echokammern der Gleichgesinnten hinaus. Sie tauchen in den Medien, in der Alltagssprache, in der politischen Auseinandersetzung auf. „Obergrenze“, „Asylforderer“, „Systemparteien“, „Staatsversagen“, „Kontrollverlust“, „bürgerkriegsähnliche Verhältnisse“ – diese Begriffe gab es vor mehr als zwei Jahren so gut wie nicht. Inzwischen jedoch kommen sie nicht nur in Wahlkampfreden, sondern auch im Alltag und in den Medien vor. Die Begriffe der Rechtspopulisten – mitsamt ihren Deutungsrahmen sind in unserer Alltagssprache angekommen.

Sie setzen eine Agenda! Bestes Beispiel dafür ist der Wahlkampf zur Bundestagswahl, der bis zum Kanzlerduell dominiert wurde durch das Flüchtlingsthema – so, als ob es kaum/keine andere Themen gegeben hätte.

 

Irrtum 2: Fakten überzeugen mehr als Falschinformationen!

Für das Netz gilt das nicht: hier werden Desinformationen häufiger geteilt als Fakten. Es ist  bedauerlich, aber empirisch nicht von der Hand zu weisen: Menschen suchen nicht natürlicherweise nach der Wahrheit. Viele tendieren dazu, diese zu meiden. Menschen akzeptieren instinktiv Informationen, denen sie ausgesetzt sind. Und wenn sie falschen Glaubenssätzen widerstehen wollen, dann müssen sie daran aktiv arbeiten. [7] Haben Sie das schon mal versucht, wenn Sie für ein  paar Stunden im Netz abgetaucht waren, einem Thema nachgegangen sind, das Sie leidenschaftlich interessiert?  Wie die Mehrheit der anderen Nutzer auch, werden Sie dazu tendieren, vertraute Informationen für wahr zu halten, z.B. das, was Ihnen Freunde empfehlen. Und Sie picken sich wahrscheinlich eher die Information heraus, die Ihre bestehenden Ansichten unterstützen.

Eine Information mag falsch sein –  wird sie mit der entsprechenden Emotionalität erzählt, möglichst oft von meiner Gruppe im Netz geteilt, dann wird man sie dennoch für glaubwürdig halten – und vor allem: man wird sie im Netz mit Gleichgesinnten teilen. „Das was man fühlt ist Realität!“[8], sagen die Populisten wie die Extremisten. Nach diesem Prinzip funktioniert ihre politische Kommunikation. Ihre Erzählungen transportieren vor allem Gefühle. Protest entsteht über die Verbreitung von Angst und Wut. Desinformation ist ein ebenso banales wie wirkungsvolles Mittel, um diese Gefühle auszulösen. Deswegen werden Falschinformationen in den sozialen Medien gerne geteilt und öfter verbreitet als Fakten.

Das erklärt, warum Desinformation für die Kommunikation der Populisten und Extremisten ein so wichtiges Element ist. Die Wirkung von Meldungen, dass Merkel eine Enkeltochter Hitlers sei oder dass SPD-Spitzenkandidat Schulz möglicherweise „Konzentrationslager für politisch unbequeme Bürger“ fordern werde, weil sein Vater bei der Vergasung von Juden im Dritten Reich mitgewirkt habe[9], lässt sich leicht vorhersehen. Solche Desinformation löst Wut, Angst und Empörung unter ihren Adressaten aus, auch wenn die Information offensichtlich falsch ist – und erhöht so die Sichtbarkeit und Resonanz für populistische Ideen.[10]

Darin liegt die Gefahr der voneinander isolierten Teilöffentlichkeiten im Netz – denn hier herrscht Meinungseinfalt – und nicht –vielfalt.  Man ist in vor allem oder gar ausschließlich unter Gleichgesinnten. Das aber ist nicht nur ein Rückzug in die eigene Community – es ist gleichbedeutend mit dem Rückzug aus einem breiten gesellschaftlichen Diskurs.

Irrtum 3: Das sind doch nur hohle sprachliche Provokationen, die ihre Wirkung verfehlen

Richtig ist: der Angriff auf die Demokratie der Populisten und Extremisten beginnt mit dem Angriff auf die Sprache. Sie sagen offen, dass sie darauf zielen, in ihrer Kommunikation die Grenze des Sagbaren zu verschieben. Denn damit verschiebt sich in letzter Konsequenz auch die Grenze für das, was (politisch) machbar ist – und Grundwerte unserer Gesellschaft geraten in Gefahr!

In Gefahr gerät auch die Möglichkeit demokratischer Verständigung. Wenn wir uns nicht mehr über gemeinsame Begriffe und deren Bedeutung verständigen können, dann ist politische Auseinandersetzung so gut wie unmöglich. Wenn der eine ‚rapefugees‘ sagt – und damit meint, dass muslimische Männer grundsätzlich und immer Frauen vergewaltigen – und der andere ‚Flüchtling‘, dann beschreibt das unterschiedliche Realitäten.

Die Begriffe, welche Extremisten wie Populisten viral  in Umlauf bringen sind nicht neutral. Populisten stellen Provokation und Tabubrüche an die Stelle sachlicher Argumente, so dass man zur Sachebene gar nicht erst vordringt.[11] Aus Flüchtenden werden „Asylforderer“, „muslimische Gewalttäter“, „Merkels Gäste“. Diese Begriffe werten ab, interpretieren um. Sie geben mir eine Deutung mit, prägen meine Wahrnehmung der politischen und sozialen Realität in meinem Land. Diese Begriffe sind ein Angriff auf unser gesellschaftliches Miteinander, den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Sie sind aggressiv, menschen-  und demokratiefeindlich. Sie stigmatisieren ganze Gruppen und setzen sie systematisch herab. Als notorische Gewalttäter, als feindliche Eroberer, als gewissenlose Kleptokraten.

Diesem postfaktischen Wüten sollten wir uns souverän entgegenstellen. Denn wenn keiner mehr klärt, was wahr ist und was unwahr, dann lassen wir zu, dass Deutungen die Realität übermalen – wie das in vielen Erzählungen der Populisten und Extremisten geschieht. Wir sollten Provokation auch nicht mit Gegenprovokation beantworten. Falsches nicht mit Falschem parieren. Demokratische Verständigung – auch im digitalen Raum -, verlangt danach, Fake zu entlarven als das was es ist: Desinformation, vielleicht offene Manipulation. Wer sich  als Demokrat versteht, hateinen Dienst an der Wahrheit zu leisten. Es ist verkehrt – passiert aber viel zu häufig –  dem Reiz-Reaktionsschema ‚Provokation –Gegenprovokation‘ zu folgen oder oberflächlich Stichworte mit Schlagseite zu diskutieren. Stattdessen sollten wir die Fakten dazu herausarbeiten, die Stichwortgeber gezielt damit konfrontieren und auf eine Antwort bestehen.

 

Irrtum 4: Die Kommunikation im Netz können wir den anderen überlassen – wir machen weiter wie bisher!

Die politische Entwicklung spricht dagegen. Die Erzählungen der anderen nur zur Kenntnis zu nehmen ist aus meiner Sicht entschieden zu wenig! Wo ist die Demokratie-Erzählung, die überzeugt? Die mich dafür begeistert, für eine plurale, freiheitliche und demokratische Ordnung zu streiten? Die zum Mitmachen einlädt? Die sich zu einem frühen Zeitpunkt an die wendet, die sich in unserem Land nicht wahrgenommen fühlen und an die, die dabei sind, sich von der Demokratie in unserem Land abzuwenden?

Die Narrative der Populisten sind verführerisch. Sie reduzieren die Komplexität der Welt, in der ich lebe. Dabei drehen sie sich doch im Kern um ein hochkomplexes und zentrales Thema: die Identität! Warum überlassen wir solche zentralen Themen unserer Gesellschaft – wie das der Identität oder das des gesellschaftlichen Zusammenlebens – deren Diskursen? Warum lassen wir zu, dass sie für solche Themen Deutungshoheit beanspruchen?

Die Frage, wer wir sind und wie wir leben wollen, gehört wieder in die Mitte der politischen Debatten

Wir müssen mehr streiten! An echten Kontroversen ist noch keine Demokratie gescheitert. Die Populisten zielen darauf, die Kontroverse als „Streit um den richtigen Weg unter Gleichberechtigten“ auszulassen, indem sie behaupten, es gebe einen allgemeinen und einheitlichen Volkswillen. Dieses geschlossene „Volk“, das es naturgemäß nicht gibt, hat immer Recht – und die Populisten sind dessen politische Stellvertreter. „Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen“, verkündete AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland nach dem Wahlerfolg der AfD. Dieser Satz ist entlarvend: Unumwunden drückt er nicht nur die falsche Überheblichkeit der Populisten aus, sondern auch ihren autoritären Machtanspruch, für „ihr Volk“ zu sprechen.

Digitale Teilhabe für möglichst viele – darum sollte es vielmehr gehen. Wer effektiv für die Demokratie werben möchte, dessen politische Kommunikation muss sich weit stärker auf das Netz und die Nutzungsgewohnheiten dort einstellen als das bisher der Fall ist. Dazu zählt nicht nur eine bessere Präsenz, dazu zählt auch eine andere Haltung, denn im Netz zu kommunizieren, das heißt: sich unter Gleichberechtigten austauschen. Es gilt Formate zu schaffen, über die sich möglichst viele Menschen aktiv am Prozess der politischen Meinungsbildung beteiligen können. Die demokratische Zivilgesellschaft sollte sich auch digital weit stärker vernetzen und organisieren als sie es bisher tut! Damit im Netz (mehr) Räume für politische Auseinandersetzungen, für das Aushandeln demokratischer Kompromisse und den richtigen politischen Weg entstehen.

Diese Punkte sind übrigens nur zum Teil Aufgabe von Politikern oder Journalisten. Es ist ein gesamtgesellschaftlicher Einsatz erforderlich – der setzt überall da an, wo Menschen sich begegnen. Es wird in unserer heterogenen Gesellschaft zu wenig über Demokratie und Identität gesprochen – das gilt für Schulen, für Medien, für Politik und Alltag – und auch für das Netz.

„Wir sind das wahre Volk – die anderen gehören nicht dazu!“ Erzählungen dieser Art, die in den digitalen Echokammern der neuen Rechten gerne geteilt werden und Raum greift, funktionieren nicht ohne „andere“, die „Fremden“, die „Eliten“, die „Lügenpresse“. Populisten brauchen Feindbilder und Antagonisten. Das erklärt die tiefe Menschenfeindlichkeit, welche aus den Beiträgen spricht. Umso wichtiger ist, dass genau diese als „Feinde“ stigmatisierten Menschen an unseren gesellschaftlichen und medialen Diskussionen teilhaben, dass wir ihre Stimmen lesen und hören können. Wie viele Talksendungen gab es zum Thema Flüchtlinge, an denen ein Flüchtling teilnahm?

Eine eigene Agenda tut not!   Wo sind die durchschlagenden Argumente, warum sich Europa lohnt? Warum unsere Gesellschaft besser dran ist, wenn sie divers ist und für Menschen anderer Kultur offen? Diese Demokratie-Erzählung sollten wir gestalten – das geht durch gesellschaftliches Engagement, durch überzeugende politische Vorschläge, durch entsprechende journalistische Arbeit.

 

Irrtum 5: Journalismus hat sich in Zeiten des Netzes doch erledigt!

Richtig ist: Der digitale Strukturwandel hat zwingende Folgen für den Journalismus. Er schafft einen anderen Wettbewerb, einen anderen Innovationsdruck – verlangt nach einer Rollenklärung und vielleicht sogar Neuerfindung. Doch professionelle journalistische Produkte bleiben zentrales Instrument bei der Ermittlung und Verifizierung der Fakten, bei der Unterscheidung von Fake und Fakt – wenn sie professionell und gut gemacht sind.

Gerade für Deutschland gilt allerdings: es braucht sehr wohl eine Rollenklärung. Mit einiger Berechtigung kritisieren viele Menschen in unserem Land, dass JournalistInnen nicht die Fragen stellen, die sich normale Menschen stellten. Bestes Beispiel dafür war die kritiklose Berichterstattung über die vielen Flüchtlinge in Deutschland – deutsche Medien folgten über lange Zeit dem euphemistischen „Wir schaffen das!“ der Kanzlerin, dabei wäre es ihr Job gewesen, eigenständig zu recherchieren, was schief läuft und wo die  Schwierigkeiten liegen.[12]

Als Welterklärer und Meinungsmacher sind Journalisten nur noch einer von vielen. Um im digitalen Wandel weitere relevant zu sein, müssen sie die sein, die  den Hintergrund, den Kontext und das, was ausgelassen wird,  kennen als die vielen Nutzerinnen im Netz, die sich auch schon eine Meinung gebildet haben. Sie müssen faktentreu und genau sein in ihrer Recherche und müssen ein besseres Gefühl für die Fragen und Debatten im Netz entwickeln – weniger berichten, über das was gesagt wird – und mehr über das, was ihre Nutzer erleben. . Nur dann wird ihr Produkt bestehen. Die steigenden digitalen Auflage der Washington Post und New York Times unter Trump zeigen: wenn Desinformation den politischen Raum erobert, dann seigt der Bedarf an guten journalistischen Produkten.

Verifizierung und Prüfung von Nachrichten wird auch für journalistische Produkte wichtig werden, Journalisten werden ihre Quellen und Recherchen transparenter darstellen müssen. Deshalb ist es gut, dass es  digitale journalistische Recherche- und Verifizierungsprojekte neu entstehen. Mit Truly Media – einer Plattform von Journalisten für Journalisten  – entwickelte die Deutsche Welle ein Instrument, dass die Echtheit von Informationen auf Facebook und in anderen sozialen Medien überprüft. Inzwischen nutzt u.a. Amnesty International dieses Tool zur Verifizierung von Menschenrechtsverletzungen. [13] Ein ähnliches Verifizierungsprojekt kennt auch die Tagesschau: im „Faktenfinder“[14], werden Desinformationen offen gelegt und mit der Hoaxmap[15] von Karolin Schwarz (@raueberhose) und Lutz Helm (@fraulutz) eine Landkarte von als falsch identifizierten, online verbreiteten Gerüchten erstellt. Als unabhängige journalistische Organisation hat sich zudem das gemeinnützige Recherchezentrum correctiv.org[16] etabliert.

Wichtig sind zudem unabhängige wissenschaftliche Projekte, die sich mit dem Einfluss von Algorithmen und viraler Verbreitung auf (Des)Information auseinandersetzen. Wie die Arbeit der Wissenschaftler des Internet Instituts an der Universität Oxford[17], die Arbeit der Stiftung Neue Verantwortung[18] oder Botswatch[19]. Mit letzterem hat die Digital-Strategin Tabea Wilke plus Team ein Tool zur Identifizierung von Social Bots entwickelt. Sobald ein Account im Durchschnitt mehr als 50 Mal am Tag twittert, werde er von Botswatch als Bot erfasst.

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Zwei Jahre lang habe ich mich täglich den selbsternannten „alternativen Medien“ ausgesetzt, war Mitglied in offenen und geschlossenen Facebook-Gruppen rund um AfD und Pegida, bin den Quellen dieser digitalen Gegenöffentlichkeit bei Twitter gefolgt, erhielt Newsletter und habe auf „versteckten“ Servern rechtsextremen und gewaltbereiten Nerds dabei zugesehen, wie sie rechtsradikale Tweets und Meme produzierten oder Pro-AfD-Kampagnen für die sozialen Medien bauten. Ich habe in den Echokammern der Erdogan-treuen Medien und Trolle recherchiert und bin den Desinformationen von russischer Seite nachgegangen.

Extremisten und Populisten finden im Netz die Möglichkeit, ganz ohne Filter und ohne lästige Fragensteller oder ModeratorInnen, ihre Informationen zu verbreiten. Sie nutzen die Möglichkeiten des Netzes an vielen Stellen sehr viel gezielter als klassische Volksparteien oder Medien. Mit Erfolg sprechen sie die wachsende Zahl der Menschen in unserem Land an, die sich von traditionellen Parteien und Medien abwenden und sich längst in ihrem eigenen Informationsraum bewegen, den sie als „alternativ“, als „unzensiert“ und „demokratisch“ bezeichnen. Für den Zeitraum meiner Recherche lässt sich klar sehen: Alle diese Akteure und Quellen haben im Netz an Reichweite zugelegt. Und: Sie machen aus ihrer digitalen Informationsstrategie kein Geheimnis, ihre Strategien für digitale Propaganda und Desinformation sind digital publiziert und leicht zu finden.

Irrtum 6: Gesetze oder Facebook-Redakteure werden digitale Desinformation  massiv eindämmen

Eine Mehrheit in unserem Land ist dafür, dass gegen Fake News gesetzlich eingeschritten wird und dass die Betreiberplattformen mehr Inhalte löschen. So wollen 68 Prozent Plattformbetreiber wie Facebook oder Twitter verpflichten, Falschnachrichten auf ihren Kanälen aktiv zu löschen. Bei Social Bots befürworten 90 Prozent eine stärkere Reglementierung – und sogar 43 Prozent ein gesetzliches Verbot.[20]

Mit dem eilig verabschiedeten Netzwerkdurchsetzungsgesetz[21] wurde ein solcher Mechanismus auf den Weg gebracht. Damit – so die politische Absicht – sollen Hasskriminalität und strafbare Falschnachrichten aus den sozialen Netzwerken verbannt werden.[22] Doch wir werden die Verbreitung digitaler  Desinformation weder durch Gesetze noch durch weitere RedakteurInnen bei Facebook oder Twitter, die problematische Inhalte löschen sollen, in den Griff kriegen.

Medienkompetenz als Schlüssel für den souveränen Umgang mit Desinformation

Es ist eine gute Nachricht: Kein Algorithmus, kein Facebook-Redakteur und auch kein Gesetz werden uns das eigene kritische Denken abnehmen, wenn es darum geht, Fake von Fakt zu unterscheiden. Das fängt mit den richtigen Fragen und dem entsprechenden Wissen an: Wer setzt auf gezielte Desinformation – verbreitet Hetze und Gewalt? Mit welchem Ziel?

. Zu lernen wie wir im Netz souverän und individuell das Wichtige vom Unwichtigen trennen, das Wahre vom Unwahren, unterscheiden – Medienkompetenz also – ist die zentrale  Schlüsselkompetenz, um Desinformation zu begegnen. Und hat doch bisher höchstens einen Rand- und Nischenplatz in unserer schulischen und außerschulischen Bildung. Sie muss einen festen Platz bekommen. Medienkompetenz Das beginnt damit, dass wir als Nutzerinnen und Nutzer die Möglichkeiten digitaler Kommunikation kennen – und das „Strickmuster“ unserer eigenen Echokammer, unseres eigenen Newsfeeds. Das ist Voraussetzung, um Manipulation und Einseitigkeit wahrzunehmen und neue Wege für die Informationsbeschaffung zu nutzen. Medienkompetenz ist eine Schlüsselkompetenz für die demokratische Entwicklung in unserem Land.

Das gleiche gilt aus meiner Sicht für die politische Bildungsarbeit, denn Resilienz gegen Desinformation setzt voraus, dass ich die Werte und Grundlagen unserer Demokratie überhaupt erst kenne. Der digitale Strukturwandel schafft Handlungsbedarf, wir haben diese Themen unterschätzt! Und nun braucht es die Anstrengung aller Demokraten in Bildung und Schule, Zivilgesellschaft und Medien, diese Kompetenzen zu vermitteln.[23]

Mehr digitale Teilhabe wagen!

Desinformation und Propaganda sind weder ein Begleitphänomen des Internets noch eine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Bereits Hannah Arendt schrieb nach dem Zusammenbruch des dritten Reichs über die deutsche Gesellschaft: „Das ideale Subjekt eines totalitären Systems ist nicht der überzeugte Nazi oder der überzeugte Kommunist, sondern Menschen, für die der Unterschied zwischen Fakten und Fiktion und der Unterschied zwischen wahr und falsch nicht länger existiert.“[24] In einer Zeit, in der sich über Algorithmen Information und Desinformationen massenhaft multiplizieren und sich die Vorlieben und Interessen der NutzerInnen herausfinden und zielgruppengerecht mit Information und Desinformation befriedigen lassen, bekommt dieser Mechanismus eine dramatische Dimension und Wirkung. Denn die Reichweiten, die heute digital erzielt werden, sind um ein vielfaches höher als zu einer Zeit, in der Information ausschließlich über den Rundfunk und die Presse und damit ausschließlich über eine Vermittlerinstanz verbreitet werden konnte. Wird Desinformation nur intensiv genug verbreitet, dann geht die Realität verloren. Gibt es ein besseres Argument dafür, den Fakten treu zu bleiben, für sie zu streiten, das Wahre vom Unwahren zu unterscheiden und kenntlich zu machen?

Wir sind als Gesellschaft gefordert, uns diesen digitalen Entwicklungen zu stellen! Es braucht nichts weniger als eine digitale Zivilgesellschaft, welche dem Angriff auf die Demokratie im Netz klug, sachlich und klar begegnet. Deren Akteure mit überzeugenden Argumenten für die Demokratie streiten. Eine Gesellschaft, in der die unterschiedlichen Rollen im Meinungsbildungsprozess auch ausgeschöpft werden: in der JournalistInnen in kritischen Recherchen den Fragen der vielen Menschen im Land nachgehen, welche irrtümlich mein(t)en, die AfD böte darauf Antworten. In der sich PolitikerInnen nicht scheuen, schmerzhafte Themen anzusprechen und sich ihnen zu stellen. Eine Gesellschaft, deren BügerInnen souverän und kreativ für das Recht auf digitale Teilhabe und Meinungsvielfalt im Netz streiten.

Mich bewegt, dass das Netz eigentlich eine fantastische Chance auf Bildung und Wissen bietet, auf mehr politische Beteiligung – und eine sehr gleichberechtigte Kommunikation. Eine Chance, die wir uns nicht nehmen lassen sollten.

 

 

 

 

[1] Die Tat geschah im September 2016. Die Tat galt zunächst nicht als islamistischer Terror. Später veröffentlichte die der Terrormiliz IS nahestehende Nachrichtenagentur Amaq allerdings ein Bekennervideo, das der Täter nach Erkenntnissen der Ermittler selbst mit Hilfe eines Smartphones aufgenommen hatte. Dort bezeichnete er sich als „Soldat des Islamischen Staates” und kündigte eine Märtyreropposition in Deutschland an. Auch in einem später gefundenen Abschiedsbrief an seinen Vater erklärte er, sich an „Ungläubigen” rächen zu wollen.

[2] Mitte September 2016 war es auf dem Kornmarkt in Bautzen bei einer rechten Kundgebung zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Rechtsextremen und Flüchtlingen gekommen. Organisiert wurden die Kundgebungen von der rechtsextremen Gruppe Die Sachsen Demonstrationen. Gemeinsam mit der Nationalen Front Bautzen hatte sie weit über Sachsen hinaus Anhänger aufgerufen, in die Oberlausitzer Stadt zu kommen. Da die beiden Gruppen auf Facebook zusammen 10.000 Likes haben, wurde diese Veranstaltung vor allem über das Netzwerk beworben. Siehe dazu auch: http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-10/rechtsextremismus-sachsen-bautzen-demo-antifa-gegendemo

[3] Siehe dazu beispielsweise: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/angebliche-vergewaltigung-in-berlin-russisches-manoever-a-1074024.html

[4] Siehe z.B.: https://www.welt.de/politik/deutschland/article157876725/Identitaere-Bewegung-klettert-auf-das-Brandenburger-Tor.html

[5] Zu diesem Thema mehr: vgl. Ute Schaeffer: Fake statt Fakt. Wie Populisten, Bots und Trolle unsere Demokratie angreifen. München: dtv premium 2018. Siehe dazu auch: https://www.dtv.de/buch/ute-schaeffer-fake-statt-fakt-26190/.

 

[6] Auf Facebook erreicht die AfD weit mehr Fans als alle anderen Parteien. Zum Stichtag der Bundestagswahl bindet die AfD über ihre offiziellen Partei-Accounts 385.783 Fans. Eine solche Reichweite erzielen CDU (169.913), SPD (172.936), FDP (158.252) und Grüne (172.936) bei weitem nicht. Zweitstärkste Partei hinsichtlich der Reichweite bei Facebook ist Die Linke (243.798. Diese Zahlen datieren aus dem September 2017. Der Politikwissenschaftler Josef Holnburger führte dafür  eine Netzwerkanalyse zur AfD-Präsenz auf Facebook und Twitter in der Zeit von Juni 2016 bis zur Bundestagswahl am 24.09.2017 durch.

 

[7] Wurzel dieses ganzen paradoxen Verhaltens ist das, was der Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahnemann[7] schon vor einigen Jahren „cognigtive ease“ nannte, kognitive vgl. Thinking, Fast and Slow. Farrar, Straus and Giroux, 2011, ISBN 978-0-374-27563-1. Auf Deutsch erschienen als: Schnelles Denken, langsames Denken. Siedler Verlag, 2012, ISBN 978-3-88680-886-1. Das von Kahnemann beschriebene schnelle, instinktive und emotionale System wird durch Reizworte und Stereotype aktiviert und macht diese kognitive Bequemlichkeit aus. Demgegenüber steht das langsame, analysierende und logische System.

[8] Das Zitat stammt von Georg Pazderzki, dem Vorsitzenden der Alternative für Deutschland in Berlin, zitiert nach DPA, 22.9.2016.

[9] Vgl. anonymous.ru, 27.1.2017, „Aufgedeckt: Vater von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz liquidierte im KZ Mauthausen“.

[10] Vgl.dazu: Sängerlaub, Alexander. „Measuring Fake News“ , Studie der Stiftung Neue Verantwortung. August 2017, S.13.

[11] Das geschieht auch darüber, die Grenze des Sagbaren zu verschieben z.B. durch Begriffe aus dem nationalsozialistischen Sprachgebrauch, z.B. wenn das Wort völkisch oder das der Volksgemeinschaft von AfD-Vertretern wider eingesetzt wird – “Wir sollten uns nicht länger die eigene deutsche Sprache mit Verweis auf einen Teil der deutschen Geschichte verbieten lassen. Die Gesinnungswächter erfahren zunehmend Widerstand, denn das deutsche Volk will sich nicht länger bevormunden und gängeln lassen.” Poggenburg am 21.8.

[12] Vgl die entsprechende Studie im Auftrag der Otto Brenner Stiftung, durchgeführt von Michael Haller. „Die Flüchtlingskrise in den Medien“, Juni 2017. URL: https://www.otto-brenner-stiftung.de/otto-brenner-stiftung/aktuelles/die-fluchtlingskrise-in-den-medien.html

 

[13] URL: http://www.truly.media/. Die Webplattform wurde von der DW gemeinsam mit dm Athens Technology Center entwickelt.

[14] URL: http://faktenfinder.tagesschau.de/

[15] URL: http://hoaxmap.org/.

[16] URL: https://correctiv.org/

[17] URL: http://comprop.oii.ox.ac.uk/

[18] URL: https://www.stiftung-nv.de/de

[19] URL: http://botswatch.de/.

[20]http://www.pwc.de/fakenews

In der Umfrage von PWC lag der Fokus auf Social Bots, welche über soziale Netzwerke vermeintliche Nachrichten verbreiten, um so die öffentliche Meinung zu manipulieren

[21] In der langen und vollständigen Bezeichnung heißt es: Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken. Es gilt für Betreiber sozialer Netzwerke wie Facebook, Twitter und YouTube, mit mehr als 2 Millionen registrierten Nutzern in Deutschland. E-Mail- und Messenger-Dienste, berufliche Netzwerke, Online-Spiele und Verkaufsplattformen fallen nicht darunter. Eine Clearingstelle für Beschwerden über voreilig gelöschte legale Inhalte, wie ursprünglich vom Bundesrat gefordert, gibt es nicht. Bei wiederholten und systematischen Verstößen gegen das Gesetz droht ein Bußgeld von bis zu 50 Millionen Euro. Dies ist nicht wie im ursprünglichen Gesetzentwurf schon ab dem ersten Verstoß gegen die Lösch- und Sperrpflicht möglich, sondern erst bei beharrlicher Weigerung eines Unternehmens, ein effektives Beschwerdemanagement einzuführen oder wenn die Regeln systematisch missachtet würden. https://de.wikipedia.org/wiki/Netzwerkdurchsetzungsgesetz

[22] Als rechtswidriger Inhalt im Sinne des NetzDG gilt demnach alles, was den Tatbestand der Paragrafen 86, 86a, 90, 90a, 111, 126, 130, 140, 166, 185 bis 187, 241 oder 269 des Strafgesetzbuchs erfüllt.

[23] Es gibt eine Reihe von Organisationen, die sich für dieses Thema einsetzen: Die  DW-Akademie  für die ich arbeite, fördert Medienkompetenz  in mehr als 50 zensierten  Medienmärkten, Krisen-, Postkonflikt und Entwicklungsländern  – also dort, wor Desinformation und Propaganda an der Tagesordnung sind.

[24] “The ideal subject of totalitarian rule is not the convinced Nazi or the convinced Communist, but people for whom the distinction between fact and fiction (i.e., the reality of experience) and the distinction between true and false (i.e., the standards of thought) no longer exist.” ― Hannah Arendt, The Origins of Totalitarianism.