Fake statt Fakt – digitale Desinformation ist konstitutiv für Populisten und Extremisten

In der Ausstellung NEWSFLASH im Nürnberger Kunsthaus ging es um die Vermittlung von Nachrichten und die Frage wie sich diese durch digitale Verbreitung im Netz verändert. Mit den Künstlerinnen Monika Huber und Wiebke Elzel haben wir das Thema diskutiert – und dabei auch festgestellt, dass sich Manipulationskraft und Wirkung von Bildern, von Desinformation und Propaganda  durch Frequenz und Reichweite im Netz deutlich verstärken. Es braucht neue Kompetenzen, um damit umzugehen! 

 

„Alles Fake!“ Das englische Wort findet inzwischen überall Verwendung, um mit einem Schlag die Meinung eines Gegenübers niederzumachen. Selbst Donald Trump beschimpft Reporter von CNN und anderen Medien[1] als Vertreter der „Fake News“, obgleich er doch selbst zu denen gehört, die immer wieder falsche Informationen über Twitter verbreiten. Doch zurück zur eigentlichen Bedeutung: „Fake“ heißt Falschinformation. Das heißt: die gezielte Verbreitung von manipulierten Nachrichten und gezielten Falschmeldungen, um die Adressaten zu beeinflussen, oder einer Gruppe oder einzelnen Individuen zu schaden[2]. Fake hat mehr als eine Gestalt: Manchmal handelt es sich um eine völlig falsche und frei erfundene Information oder um reine Spekulation – wie bei den Verschwörungstheorien zu 9/11. Weit öfter jedoch vermischt Fake tatsächlich zutreffende Fakten, z. B. zu einem Terroranschlag in Europa mit falschen Informationen – zum Täter, zu den Opfern, zum Tathergang. Zusammenhänge werden zerlegt, indem alte Sachverhalte immer wieder als „aktuell” verbreitet oder Medienbeiträge in einen gänzlich anderen Sinnzusammenhang gestellt werden.

Bei unseren Nachbarn sind die Effekte von Desinformationskampagnen im Netz noch deutlicher erkennbar als bei uns: Das „Ja!“ der Briten zum Brexit. Das beste Wahlergebnis für den rechtsextremen Front National bei der ersten Runde der Präsidentenwahl in Frankreich: 11,5 Millionen der 47 Millionen wahlberechtigten Franzosen stimmten für Marine Le Pen. Hier lässt sich erkennen, welche destruktive Kraft digitale Desinformation entfalten kann. In den USA ist bereits jede zweite Meldung bei Twitter eine solche manipulative Falschmeldung – in Deutschland ist es bisher „nur“ jeder fünfte Tweet. Doch auch die Meinungsbildung in unserem Land steht am Beginn dieser Entwicklung[3], auf die wir noch nicht vorbereitet sind – weder als Wähler, noch als Mediennutzer, Bürger, Journalist oder Künstler.

 

Gefahr für die demokratische Auseinandersetzung: Der Echokammer-Effekt

Es ist eine fundamentale Veränderung des öffentlichen Informationsraums und der Meinungsbildung im Gang. Diese birgt große Chancen, denn Wissen steht über das Netz jedem unabhängig von Ort und Zeit zur Verfügung. Doch die Meinungsbildung im Netz birgt auch große Risiken, denn dort werden Fakten durch Fake manipuliert, verdrängt, negiert und übermalt. Das große Versprechen des Netzes auf mehr Meinungsvielfalt, auf demokratische Diskussion und freien Zugang zu wertvollem Wissen, verkümmert in den Echokammern des Netzes zur geteilten Empörung, zu lautem Hass, zum einfältigen Einheitsbrei oder wilden Verschwörungstheorien. Mit der Gefahr, dass Diskussionen erst gar nicht entstehen, weil Hass und menschenverachtende Aggression sie ersticken, sie niedergebrüllt werden – oder erst gar nicht zustande kommen.

Nur wenn wir lernen, mit digitaler Information klug und kritisch, souverän und sorgfältig umzugehen, wenn wir uns als Bürger beteiligen – analog und digital – dann werden wir auch im Netz demokratische Auseinandersetzungen haben. Angesichts der Flut an Informationen, der wir ausgesetzt sind, bewegen wir uns im Netz überwiegend in der eigenen Informationsblase. Doch wer das Echo aus der eigenen Echokammer erhält, der kennt die Themen und Diskurse der anderen nicht. Der bleibt da, wo die Menschen so ticken wie er oder sie selbst. Wenn wir aber nicht mehr miteinander diskutieren, sondern uns in diesen Filterblasen aufhalten – wo verständigen wir uns über politische Themen, über die Art und Weise, wie wir gesellschaftliche Beteiligung organisieren? Über die Werte, die unser Zusammenleben und unsere Gesellschaft prägen, über den richtigen politischen Weg? Demokratie ist das beständige Aushandeln von Kompromissen – und unsere deutsche Gesellschaft ist in den vergangenen 70 Jahren gut damit gefahren, sich auch bei strittigen Themen miteinander auseinanderzusetzen.

Zwei Jahre lang habe ich mich täglich den selbsternannten „alternativen Medien“ ausgesetzt, war Mitglied in offenen und geschlossenen Facebook-Gruppen rund um AfD und Pegida, bin den Quellen dieser digitalen Gegenöffentlichkeit bei Twitter gefolgt, erhielt Newsletter und habe auf „versteckten“ Servern rechtsextremen und gewaltbereiten Nerds dabei zugesehen, wie sie rechtsradikale Tweets und Meme produzierten oder Pro-AfD-Kampagnen für die sozialen Medien bauten. Ich habe in den Echokammern der Erdogan-treuen Medien und Trolle recherchiert und bin den Desinformationen von russischer Seite nachgegangen.

Extremisten und Populisten finden im Netz die Möglichkeit, ganz ohne Filter und ohne lästige Fragensteller oder ModeratorInnen, ihre Informationen zu verbreiten. Sie nutzen die Möglichkeiten des Netzes an vielen Stellen sehr viel gezielter als klassische Volksparteien oder Medien. Mit Erfolg sprechen sie die wachsende Zahl der Menschen in unserem Land an, die sich von traditionellen Parteien und Medien abwenden und sich längst in ihrem eigenen Informationsraum bewegen, den sie als „alternativ“, als „unzensiert“ und „demokratisch“ bezeichnen. Für den Zeitraum meiner Recherche lässt sich klar sehen: Alle diese Akteure und Quellen haben im Netz an Reichweite zugelegt. Und: Sie machen aus ihrer digitalen Informationsstrategie kein Geheimnis, ihre Strategien für digitale Propaganda und Desinformation sind digital publiziert und leicht zu finden.

.QQKF7565

Billd: Diskussion mit Monika Huber und Wiebke Elzel (v.l..n.r.) in der Ausstellung Newsflash, Ausstellung der Kunsthalle Nürnberg mit dem Kunsthaus

An vielen Stellen habe ich allerdings heute das Gefühl, dass Parteien wie Medien einen Bogen um strittige Themen machen. Die politischen Debatten halten nicht Schritt mit dem, was uns politisch herausfordert. So versuchten die im Bundestag vertretenen Parteien provokante Themen im Wahlkampf klein zu halten. Wie die Forderung nach mehr direkter Beteiligung der Bürger. Oder die von vielen Menschen so strittig diskutierte, drängende Frage, ob und wie wir die Integration der Flüchtlinge leisten können. Komplexe Entscheidungen, welche das Wertegerüst unserer Gesellschaft berühren – wie die „Ehe für Alle“ oder  das „Netzdurchsetzungsgesetz“ –  wurden noch vor dem Ende der Legislaturperiode im Eilverfahren, ohne große parlamentarische bzw. gesellschaftliche Diskussion durchgesetzt. Doch wenn die Diskussion in Parlament und Medien ausbleibt, dann übernehmen sie andere – und das vor allem im Netz.

IMG_6398

 

Die Installation “Kameras” von 2007 von Oliver van den Berg in der Ausstellung

 

Geschichten vom Land am Abgrund

Kern dieser Kommunikation sind Geschichten, die Angst und Empörung schüren, Kunst- und Kampfbegriffe. Eine Kommunikation, die über ihre Sprache und ihre Erzählungen unsere demokratischen Institutionen, unser Modell einer offenen Gesellschaft und Meinungsvielfalt diskreditiert und Zweifel am Funktionieren unseres Gemeinwesens säht.

Der große Rahmen, die Bühne für all diese Erzählungen, ist der Niedergang Deutschlands. Zensur, Einschränkung der Bürgerrechte und Verfolgung Andersdenkender sind, wenn ich dem Strom der Meldungen in meinem rechten Newsfeed folge, an der Tagesordnung in Deutschland. Menschenrechte, Pressefreiheit, Demokratie gelten in unserem Land wenig. Denn sie werden mutwillig und absichtsvoll eingeschränkt -– und zwar nicht durch irgendwen, sondern durch die Regierung und das liberale Establishment. Auf dieser Bühne spielen sich Dramen ab: Es gibt brutale Diktatoren und ein unterdrücktes Volk. Täter und Opfer. Fremde Horden. Und aufrechte Retter der Meinungsfreiheit. Komplotte und Verschwörungen sind an der Tagesordnung. Die Rollen sind klar verteilt. Das erzeugt Spannung, das wird gerne geteilt.

Es sind Erzählungen, die von Katastrophen berichten, die bei den NutzerInnen das Gefühl verstärken, benachteiligt zu werden, von Fremden überrannt, von der politischen Elite bestohlen, kurzum: zum Bürger zweiter Klasse degradiert zu werden. Dabei geht es in diesen Erzählungen um entscheidende Themen: um unsere Existenz, den Frieden in unserem Land und um Identität. „Der Staat versagt, verhängt den Ausnahmezustand über Deutschland.“ „Es herrscht Kriegsrecht.“ In den Erzählungen geht es um die „Kanzlerdiktatur“, den „Staatsterror“ oder den „Ausnahmezustand“. Es ist von einem scheiternden schwachen Staat die Rede, in dem die „Feinde des Volkes“, „Volksverräter“ oder „System-Parteien“ das Volk diktatorisch regieren. Ein andere bedrängende Erzählung ist die des Bürgerkriegs, der durch eine fremde Horde in das Land getragen wird. Die Geschichte von der „großen Invasion“, bei der „Rapefugees“ und „Asylforderer“ Deutschland mit Gewalt und Terror überziehen und den „Sex-Dschihad“ nach Deutschland tragen.

 

Desinformation als konstitutives Mittel für Extremisten und Populisten

In den Geschichten der Extremisten und Populisten geht es um Stimmungen und Gefühle, nicht um Fakten. Fake ist ein konstitutives Mittel für Populisten und Extremisten, denn diese sind auf emotionale Geschichten aus, um Anhänger zu gewinnen und zu binden: mit Opfern und Tätern, mit klaren Feinden und mit Helden. Für die einen ist das der Wahlsieger Trump, der auf den Medienplattformen der rechten Populisten in ganz Europa gefeiert wird. Für die anderen sind es die dschihadistischen Attentäter von Paris, die im November 2015 über Stunden mordend durch die französische Hauptstadt ziehen. Die Gewalttäter der drei mit Kalaschnikows und Sprengstoffgürteln bewaffneten Teams aus IS-Terroristen zünden Bomben und feuern auf Straßenlokale. 130 Menschen sterben, 89 davon in der Konzerthalle Bataclan. Doch in den im Netz verbreiteten Videos des IS werden die Gewalttäter und Mörder gefeiert.

Es sind Geschichten zum Teilen, Liken, Kommentieren. Geschichten zum Mitmachen. Ich bin über das Netz „live“, in Echtzeit dabei. Ein Mitmach- und Erlebnisraum entsteht, an dem jeder Nutzer mit wenig Aufwand teilnehmen kann, in dem jeder wichtig ist! Das gilt für die Informations- und Desinformationskampagnen der staatlich gelenkten und mit vielen Millionen Euro finanzierten Auslandsmedien Russlands und der Türkei genauso wie für die Extremisten des IS. So unterschiedlich ihre Ziele im Einzelnen sind – gemeinsam ist ihnen, dass sie der demokratischen Ordnung in unserem Land, liberalen politischen Ideen, der Integrationsbereitschaft und Offenheit unserer Gesellschaft den „Informationskrieg” erklärt haben, dass sie diesen vor allem digital führen, um ihre Interessen in Deutschland durchzusetzen oder neue Anhänger zu gewinnen. Und dass sie die Funktionen des Netzes – schnelle Reichweite und Frequenz zu schaffen, gezielt bestimmte Nutzer anzusprechen – geschickt nutzen.

IMG_2322

Radikalisierung über das Netz 

Was hat der 17-jährige islamistische Attentäter, der in der Nähe von Würzburg Menschen in einem Regionalzug mit einer Axt angriff,[4] gemeinsam mit den rechtsextremen Demonstranten in Bautzen?[5] Was eint die demonstrierenden Russlanddeutschen bei ihrem Protest um die verschwundene 13-jährige Lisa mit den Anhängern der rechtsextremen Identitären Bewegung, die das Brandenburger Tor erklettern und dort ein Transparent als Protest gegen Zuwanderung ausrollen? Auf den ersten Blick nicht viel.

Doch sie alle beziehen ihre Informationen aus dem Netz. Sie planen ihre Aktionen und formen ihre politische Haltung dort, auch wenn ihre politischen Positionen und Interessen ganz unterschiedlich sind. Sie haben sich über das Netz radikalisiert, sind dort mit Akteuren verbunden, die menschenfeindliche und radikale Botschaften verbreiten. Extremisten – wie im Falle der Terrororganisation Islamischer Staat -, welche Gewalt propagieren und hier in Deutschland gewaltbereite junge Männer für Terrorakte wie den in Würzburg, aber auch den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin rekrutieren. Rechtsextreme Akteure – von der NPD über die Reichsbürger bis zur Identitären Bewegung  – und Rechtspopulisten um Pegida und AfD, die Menschen aufgrund ihrer Religion oder Rasse ablehnen und Menschenrechte nicht für alle gleich – nämlich unabhängig von Rasse, Hautfarbe, nationaler oder sozialer Herkunft – gelten lassen wollen.

Im Netz spiegelt und verbreitet sich, was unsere Gesellschaft beschäftigt. Und es gibt offensichtliche Zusammenhänge zwischen dem, was an Informationen und Desinformationen verbreitet wird – und dem, was in unserem Land politisch und gesellschaftlich passiert. Es erklärt, warum so viele Türkischstämmige in unserem Land die undemokratischen Verfassungsänderungen von Erdogan bejahen. Es begründet, warum mitten in unserer Gesellschaft junge Männer zu islamistischen Attentätern werden. Es beantwortet, warum ausgerechnet in den Regionen, in denen es nur wenige Flüchtlinge gibt, Flüchtlingsheime angezündet werden.

Was als Tweet oder Post im Netz beginnt, führt oft zu praktischer Gewalt: Morddrohungen gegen Abgeordnete des deutschen Bundestags nach der Armenienresolution. Die gezielten Aggressionen in Dresden bei den Feiern am Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2016, der Brandanschlag auf eine Moschee in Dresden nur eine Woche zuvor. Polizeischutz für Abgeordnete wegen ihrer türkeikritischen Haltung. Massive Bedrohungen der liberalen Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor, die zu ihrem Rückzug aus dem aktiven Schuldienst führten. Der messbare Anstieg politisch motivierter Straftaten: eine Verfünffachung der mehrheitlich rechtsmotivierten Übergriffe auf Asylunterkünfte[6], als im Jahr 2015 viele Flüchtlinge nach Deutschland kamen.

 

Wie Sprache Wirklichkeit verändert

Schafft Sprache Wirklichkeit? Nicht unmittelbar. Aber Sprache verändert unseren Blick auf die Wirklichkeit – und damit unsere Einstellung und Haltung.[7] „Das muss man sagen dürfen“, tönt es regelmäßig aus den Reihen der AfD. Provokationen und Tabubrüche sind ein wesentlicher Teil ihrer Kommunikation, zentrale Kampfbegriffe wie „Lügenpresse“, „Migranten-Mob“, „Volksverräter“ werden im Netz aufgebaut und dann in die politische Diskussion getragen.

„Mainstreammedien“, „Rautenfrau“, „Migrantendesaster“, „Altparteien“ – alles Begriffe, die mit großer Selbstverständlichkeit fallen, wenn man im Supermarkt um die Ecke oder in der U-Bahn die Ohren offenhält, die in Gesprächen mit Nachbarn oder Bekannten fallen – und sie stammen aus diesen Diskursen im Netz. Begriffe, die stellvertretend für die Agenda der Gruppierungen der Neuen Rechten stehen. Begriffe, die das Funktionieren und die Stabilität des demokratischen Systems infrage stellen. Bei Twitter werden daraus Hashtags wie #stopinvasion, #remigration, #refugeesNotwelcome, #MerkelhatBlutandenHaenden, #KanzlerinderSchande.

Erfolgreiches Agendasetting bedeutet: Kern- und Kampfbegriffe in die Köpfe zu bringen, so dass sie sich festsetzen und leicht zu aktivieren sind. Sie bewirken, w i e ich über ein Thema denke. Es sind keine neutralen Begriffe – sie alle bewerten. Sie werten etwas auf (Widerstandskämpfer = Mitglieder der AfD oder der Identitären Bewegung) – oder sie werten etwas ab (Systemparteien, gleichgeschaltete Presse). Durch diese Wertung verbinden sie ein Thema mit einer Deutung. Es lässt sich leicht überprüfen, mit welchen Bildern einzelne Begriffe verknüpft sind. Es reicht, sie in die Google-Bildsuche einzugeben: „Asylforderer“, „Sex-Dschihad“, „Flüchtlingsinvasion“ lösen dort eine Flut von Bildern gewalttätiger Migranten aus. Der Begriff „Schlepperkönigin” führt unmittelbar und nahezu ausschließlich zu Bildern der Kanzlerin. Der Begriff „Volksverräter“ führt zu Bildern von Regierungsmitgliedern, von der Kanzlerin bis zum Justizminister, vom Innenminister bis zur Verteidigungsministerin. Bis hin zu dem Bild auf dem die Köpfe der genannten Personen vor einem Galgen abgebildet sind. Die Bildüberschrift lautet: „Bitte nicht drängeln. Jeder kommt dran.“ Die Suche legt offen, welche Bilder im Netz häufig geteilt werden. Sie gibt damit Hinweise darauf, welche Bilder sich in den Köpfen der Nutzer festsetzen.

 

Katalysator-Themen

refugees_6

MigrantInnen sind wichtiges Feindbild und Trägerthema für Rechtspopulisten

Es gibt zwei Themen, die wie Brandbeschleuniger in den Newsfeeds meiner Recherche wirken: Terrorakte und Migranten. Der verheerende Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz vom 19.12.2016 wird von vielen Medienplattformen der Neuen Rechten genutzt, die Epoch Times folgert: „Und wieder haben sie alle mit gemordet. Politik, Medien, Justiz, Polizei, Gutmenschen – alle, die solche Zustände herbeigeführt und befürwortet haben.“ Die rechtsextreme Identitäre Bewegung twittert: „Man muss es in aller Deutlichkeit aussprechen: #Breitscheidplatz passierte, weil Merkel und ihre Bande die Täter ins Land gelassen haben.“[8] In den Kommentarspalten heißt es dort unter anderem: „[…] Das Problem und die Ursache ist die amtierende Clique, ein Hochverrat am deutschen Volk […].” [9] Die „Patriotische Plattform“[10], eine der AfD nahestehende Facebook-Gruppe, postet eine Fotomontage, die Angela Merkel neben dem Berliner Attentäter Amri im Lastwagen sitzend abbildet. Die Headline: „Die Asylpolitik fuhr mit!“ Eine geschmacklose Satire? Immerhin ging es um den verheerenden Terroranschlag in Deutschland, der zwölf Menschen das Leben kostete. Gezielt werden hier Meinungsäußerungen und falsche Behauptungen so miteinander verschmolzen, dass kaum erkennbar ist, was noch Berichterstattung über Fakt ist und wo die Desinformation beginnt.

 

Auch analoge Massenpropaganda setzte auf Fake

Natürlich sind postfaktische Erzählungen und Propaganda kein Phänomen des 21. Jahrhunderts. Und auch wenn postfaktisch erst 2016 Wort des Jahres wurde,[11] so gab es das Phänomen zu allen Zeiten. Eindrucksvoll hat Hannah Arendt davon erzählt – in sehr analogen Zeiten. Sie schrieb über die deutsche Gesellschaft nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes, nachdem sie 1949 und 1950 nach Deutschland gereist war[12] und stellte mit Blick auf die nationalsozialistische Diktatur fest, dass jedes totalitäre Regime auf Desinformation als konstitutives Mittel angewiesen ist: „Bevor die totalitären Bewegungen die Macht haben […], beschwören sie eine Lügenwelt der Konsequenz herauf, die den Bedürfnissen des menschlichen Gemüts besser entspricht als die Wirklichkeit selbst […].“[13] Der ideale Untertan des totalitären Regimes seien nicht ideologisch überzeugte Nationalsozialisten oder Kommunisten, sondern „Menschen, die nicht mehr unterscheiden zwischen Fakt und Fiktion, […] wahr und unwahr.“[14]

Die Flucht vor der Wirklichkeit in die Deutung, die Zuspitzung, die Hetze war immer schon Voraussetzung aller Massenpropaganda. So entwickelten die Nationalsozialisten in der Weimarer Republik ganz gezielt postfaktische Erzählungen, um der tiefsitzenden Enttäuschung vieler Deutscher und der gefühlten Beschädigung der eigenen Identität durch die Niederlage im Ersten Weltkrieg zu begegnen. Adolf Hitler wies die bloße Feststellung, die moderne politische und soziale Welt sei komplex, 1931 „als bösartige Propaganda der Demokraten zurück.“[15] Stattdessen bot die Propaganda der Nationalsozialisten einfache Erklärungen und leugnete die Fakten: Parlamentarisches System? Eine trügerische Fassade, durch die die Menschen getäuscht wurden und Abgeordnete sich bereichern! Demokratische Parteien? Ein korrupter Haufen! Liberale Presse? Bei den Nationalsozialisten wurde sie zur „Asphaltpresse“ oder „Judenpresse“. Und auch der Begriff der „System Parteien“ wurde während der Wirtschaftskrise seit 1930 genutzt und bezeichnete die Parteien „die einen Vernichtungsfeldzug gegen das eigene Volk“ führten.

Es ist nicht zu übersehen, dass die Rechtspopulisten von heute sprachlich an die Begriffe und die Narrative von damals anknüpfen. Das gilt insbesondere für die Erzählungen zur Volksgemeinschaft, zur kulturellen Überlegenheit durch Rasse oder Religion, für die pauschale Diskriminierung ganzer Gruppen, die tiefe Menschenfeindlichkeit, die Elitenkritik, die ihre Erzählungen prägt. Es sind inhaltlich und sprachlich die alten Stichwörter und Rezepte – was nicht bedeutet, dass alle AfD-Wähler solche extremen Einstellungen vertreten.

Doch es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen analoger Propaganda und digitaler Desinformation: Es ist die Massenhaftigkeit und Frequenz, mit der sich manipulierte Informationen im Netz verbreiten. Desinformation und Propaganda erzielen heute über das Netz viel größere Reichweiten als zu einer Zeit, wo Postfaktisches über den Rundfunk, die Wochenschau oder die Tagespresse verbreitet wurde. Die Zahl der Akteure, die durch Desinformation Zweifel an unserem demokratischen System säen, die über ihre Sprache und ihre Erzählungen die demokratische Auseinandersetzung vergiften – und die Zahl der von ihnen genutzten Medienplattformen, Gruppen und Foren – haben sich vervielfacht. Und dadurch auch Propaganda und Falschinformationen.

Es ist ein Fehler, dieses antidemokratische, hasserfüllte Rauschen im Netz und die Desinformationen, die dort zirkulieren, auszublenden. Denn es wird bleiben und auch in Deutschland wachsen – und praktische Folgen haben für unser Miteinander, unsere Politik, unsere politische und demokratische Verständigung. Ändern kann sich nur unser Umgang damit. Voraussetzung dafür, sich in diesem Geflecht aus Fake und Fakt, aus wahr und unwahr orientieren zu können ist, dass wir wissen, wie wir das eine vom anderen unterscheiden. Dazu gehört auch, dass wir wissen, wer mit welchen Interessen Desinformationen im Netz verbreitet – und über welche Stories, Bilder und Begriffe das geschieht. Dass wir den Kampfbegriffen und der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit im Netz energisch entgegentreten, Hass und Gewalt zurückweisen. Uns nicht darauf einlassen, die Grenze des Sagbaren zu verschieben. Dass wir das Vergleichen nicht aufhören und die Grenzen unserer eigenen Echokammern kennen und immer wieder durchbrechen, – um das ganze Bild zu haben, die Argumente und Ängste der anderen zu kennen. Denn die Demokratie und die Frage in welcher Gesellschaft wird leben wollen, wird auch im Netz verhandelt!

Der Essay ist Ergebnis einer zweijährigen investigativen Recherche zur Verbreitung von Desinformation im Netz. Das Buch „Fake statt Fakt. Wie Populisten, Bots und Trolle unsere Demokratie angreifen“ ist im Sommer 2018 bei dtv erschienen: https://www.dtv.de/buch/ute-schaeffer-fake-statt-fakt-26190/

Das Buch ist im Buchhandel erhältlich oder auf amazon 

 

[1] Äußerung des Präsidenten der USA Donald J. Trump gegenüber dem CNN Journalisten Jim Acosta auf einer Pressekonferenz am 11.01.2017: „You are fake news!“ Hintergrund dieser Äußerung war die Veröffentlichung eines sog. „schmutzigen Dossiers“ seitens des US-amerikanischen Online-Medienunternehmens BuzzFeed, welches CNN als etablierter Nachrichtensender auf seiner Homepage verlinkte. Vgl. u. a. http://www.usatoday.com/story/news/politics/onpolitics/2017/01/11/trump-cnn-press-conference/96447880/; http://www.theverge.com/2017/1/11/14238768/trump-fake-news-press-conference-buzzfeed-cnn. In seiner Twitter-Nachricht vom 15.02.2017 hat Trump dies nochmals hervorgehoben: „The fake news media is going crazy with their conspiracy theories and blind hatred. @MSNBC & @CNN are unwatchable. @foxandfriends is great!“, https://twitter.com/realdonaldtrump/status/831830548565852160.

[2] Diese Definition wird in ähnlicher Weise z. B. auch von der Stiftung Neue Verantwortung vertreten. Vgl. Sängerlaub, Alexander, „Deutschland vor der Bundestagswahl: Alles Fake?“ Studie der Stiftung Neue Verantwortung im August 2017. https://www.stiftung-nv.de/sites/default/files/fakenews.pdf.

[3] So ist erkennbar, dass der digitale Strukturwandel unserer Öffentlichkeit zurzeit von Populisten und Extremisten effizienter genutzt wird als von anderen: Jede dritte Meldung zur Bundestagswahl bei Twitter drehte sich in den Wochen vor dem Wahltermin um die AfD. 30 % des Traffics auf Twitter mit Informationen zu einer Partei, die zu diesem Zeitpunkt 10-12 % bei Meinungsumfragen erzielte.
Die AfD nutzt soziale Medien sehr viel stärker zur Meinungsbildung als andere Parteien und die Reichweite und Frequenz bei Twitter suggeriert den Nutzern, dass die AfD starken Rückhalt genießt und spiegelt nicht die de-facto-Wählerpräferenzen.

[4] Das geschah im September 2016. Die Tat galt zunächst nicht als islamistischer Terror. Später veröffentlichte die der Terrormiliz nahestehende Nachrichtenagentur Amaq allerdings ein Bekennervideo, das der Täter nach Erkenntnissen der Ermittler selbst mit Hilfe eines Smartphones aufgenommen hatte. Dort bezeichnete er sich als „Soldat des Islamischen Staates” und kündigte eine Märtyreropposition in Deutschland an. Auch in einem später gefundenen Abschiedsbrief an seinen Vater erklärte er, sich an „Ungläubigen“ rächen zu wollen.

[5] Mitte September 2016 war es auf dem Kornmarkt in Bautzen bei einer rechten Kundgebung zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Rechtsextremen und Flüchtlingen gekommen. Organisiert wurden die Kundgebungen 2016 von der rechtsextremen Gruppe „Die Sachsen Demonstrationen”. Gemeinsam mit der Nationalen Front Bautzen hat sie weit über Sachsen hinaus Anhänger aufgerufen, in die Oberlausitzer Stadt zu kommen. Die beiden Gruppen haben auf Facebook zusammen 10.000 Likes, die Veranstaltung wird vor allem über das Netzwerk beworben. http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-10/rechtsextremismus-sachsen-bautzen-demo-antifa-gegendemo

[6] Diese Verfünffachung betrifft das Jahr 2015. Wurden im Jahr 2014 vom Bundeskriminalamt (BKA) noch 199 Übergriffe auf Asylunterkünfte gezählt, waren es 1031 im Jahr 2015. In 2016 blieb die Zahl mit 995 Übergriffen nahezu konstant. In etwa 90% der Fälle hatten die Übergriffe einen rechtsradikalen Hintergrund.

[7] Zur Frage, wie Sprache gedankliche Deutungsrahmen, sogenannte Frames, schafft, die bestimmen, wie wir politische Fakten oder die Realität wahrnehmen und die sich neurologisch messen lassen, forscht die Linguistin Elisabeth Wehling mit Methoden der Neurowissenschaft- und Verhaltensforschung. Vgl. Wehling, Elisabeth, Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht, Köln 2016.

[8] Tweet von Patrick Lenart, 19.12.2016, retweetet u. a. von Martin Sellner. Die Identitäre Bewegung teilt auch das youTube Video von Paul Joseph Watson, englischsprachiger Online-Kommentator, dessen zentrale Forderung hier wie auch an anderer Stelle ist „Stop importing terrorists“. Watson ist der Editor-at-Large von Infowars.com, einer Nachrichtenseite im Internet, die Verschwörungstheorien zur amerikanischen und internationalen Politik verbreitet.

[9] http://www.epochtimes.de/politik/deutschland/so-hart-kommentieren-leser-berliner-lkw-anschlag-bundesregierung-politisch-erledigt-a2004397.html?print=1

[10] Vorstand der Gruppe ist der Islamwissenschaftler Hans Thomas Tillschneider, der auch Landtags-Abgeordneter der AfD in Sachsen-Anhalt ist und als intellektueller Kopf der Rechten in der Partei gilt.

[11] Als „Wort des Jahres durch die Gesellschaft für deutsche Sprache“ gewählt. Gemeint ist, dass es in politischen und gesellschaftlichen Diskussionen zunehmend um Emotionen, weniger  um Fakten geht.

[12] Hannah Arendt. Das Buch erschien in den USA 1950 unter dem Titel The Aftermath of Nazi-Rule. Report from Germany und 1993 in dt. Übersetzung und unter dem Titel Besuch in Deutschland im Rotbuch-Verlag. http://www.denkwege-zu-luther.de/toleranz/detail/ahrend-zitate.asp?bURL=de/anregungen_dwl.asp.

[13]Arendt, Hannah:. Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Piper, München 2013, Seite 748.

[14] Vgl. Fußnote 13,  im engl. Original The Origins of Totalitarianism zit. N. https://www.goodreads.com/work/quotes/23497-elemente-und-urspr-nge-totaler-herrschaft.

[15] Wirsching, Andreas: Appell an die Vernunft, in: FAZ 24.4.2017, S. 8.