Teilen, posten, folgen … siegen? Die neuen Informationskriege

Der „Krieg um die Köpfe“ hat begonnen. Es geht um Werte, um Europa, um demokratische Ordnung und den Zusammenhalt von Gesellschaften. In dieser Auseinandersetzung werden Medien und Informationen als Waffe eingesetzt. Auch gegen, mit und in der deutschen Öffentlichkeit. Wir erleben, was in anderen Regionen seit Jahren Alltag für Mediennutzer ist: Einen hybriden Krieg, in dem staatlich oder auch guerilliaähnliche Desinformationskampagnen mittels herkömmlicher und neuer Medien massenhaft und gezielt eingesetzt werden – zur Werbung und Abschreckung, zur Rekrutierung und gezielten Fehlinformation. Eine Analyse von Ute Schaeffer. Publiziert im Buch “CSR und Digitalisierung” im Springer-Verlag.

 

Deutschland steht am Abgrund. Ein Land, in dem sich nicht mehr sicher leben lässt. Überrannt von Flüchtlingen. Kriminelle Migranten, die Mädchen und Frauen bedrängen. Die Polizei ist nicht mehr in der Lage, für die Sicherheit der Bürger zu sorgen. Bürgerwehren und mutige Bürger müssen die Gewalt, die von den Migranten ausgeht, eindämmen.[1]

So jedenfalls wird Deutschland von den russischen Medien dargestellt. Als schwacher Staat, in dem es sich nicht mehr sicher leben lässt. Das Gegenteil zum starken Staat Russland, in dem der Kreml für Ordnung und Ruhe sorgt.[2] Friedhofsruhe –  die Anmerkung sei erlaubt, denn Wirtschaft, Gesellschaft und Medien sind fast ausnahmslos zensiert und vertreten nur noch eine Position: die des Kremls.

Posts und Berichte in russischen Medien zur aktuellen Entwicklung in Deutschland werden zu einer Kampagne, die auf unsere Grundwerte zielt. Die verzerrt, verleugnet und verdreht, was unsere Demokratie ausmacht: Die bürgerlichen Freiheiten, den Schutz aller, auch der Minderheiten in unserem Land. Unsere demokratischen und gesellschaftlichen Institutionen und Verfahren. Die Meinungsfreiheit und das hohe Gut freier Medien.

Die Effekte dieser Kampagnen in der russischen Öffentlichkeit lassen sich messen: Meinungsumfragen von Anfang Februar 2016 zeigen, dass zwei Drittel der Russen (59 Prozent) der Überzeugung sind, dass Europa keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen sollte. Knapp ein halbes Jahr zuvor war es gerade mal ein Drittel (34 Prozent im September 2015).[3] Und drei von vier Russen sind der Meinung, dass die Flüchtlingswelle auch negative Auswirkungen auf Russland haben werde.[4]

Wer die deutsche Öffentlichkeit beeinflusst, beeinflusst Europa

Diese Desinformationspolitik richtet sich seit einigen Jahren nicht mehr nur nach innen, sondern auch nach außen. Die deutsche Öffentlichkeit ist für die russische Propaganda ein wichtiger Aktionsraum. Mit seinen 80 Millionen Menschen ist Deutschland ein entscheidender Faktor bei der Willensbildung in Europa. Wer die deutsche Öffentlichkeit für seine Sache gewinnt, dessen politische Position hat gute Chancen auf mehr Akzeptanz – auch auf politischer Ebene, in ganz Europa. Und daran hat Russland ein klares strategisches Interesse. Die russischen Propagandakampagnen zielen auf eine Teilung und Polarisierung der deutschen Öffentlichkeit – und in letzter Konsequenz stellen sie die politische und demokratische Ordnung in Deutschland in Frage. Sie zielen also tatsächlich auf das politische System und den sozialen Zusammenhalt in unserem Land.

Kühl planen die Propagandisten aus Moskau, welche Narrative, Bilder und Motive in Deutschland anschlussfähig sind. Zurzeit sind das die anhaltend aktuellen Themen Flüchtlinge – Gewalt – Sicherheit. Moskaus Propagandisten im Jahr 2016 setzen nicht mehr auf Störsender oder allein auf die lineare Verbreitung über Fernsehen oder Radio aus Moskau wie im Kalten Krieg. Sie setzen auf massenhaften Vertrieb von Informationen im Netz, auf direkte Ansprache unterschiedlicher Zielgruppen auf unterschiedlichen linearen und nicht-linearen Wegen: Durch den Hochglanz TV-Kanal Russia Today (RT) und die 2013 neu geschaffene Videoagentur Ruptly[5] mit ihren mehr als 100 Redakteuren verbreitet der Kreml seine Sicht der Dinge in der Welt. Eine Investition, die sich politisch und für die Medien in Reichweiten auszahlt: Russia Today hat in den neun Jahren seit seiner Gründung CNN an Reichweiten überholt. Putins Propagandasender liegt bei den Klickzahlen für Fernsehbeiträge auf YouTube mit fast 1,2 Milliarden Abrufen nur noch hinter der BBC. In Großbritannien schauen mehr Menschen RT als Euronews; auch in einigen US-Großstädten ist RT der meistgesehene Auslandssender. Über Russia Today und das staatliche russische Fernsehen, das über Satellit auch in Deutschland zu empfangen ist, können bis zu 3 Millionen russischsprachige Zuwanderer [6]  in Deutschland diese russischen Medien nutzen. Ein großer Markt – und ein großer Resonanzraum.

Es geht dem Kreml um Beeinflussung der Öffentlichkeiten – nicht nur im nahen, ex-sowjetischen Ausland, sondern auch in Westeuropa. Es gehe dem Kreml darum, „auch in westlichen Ländern eine alternative Öffentlichkeit zu schaffen”. Das sagt Margarita Simonjan, die Chefredakteurin des Kreml-Auslandssenders RT, der Muttergesellschaft von Ruptly.[7] Das macht Moskau aufwendig: snackable und meinungslastig  – mit kurzen Botschaften und moderner Verpackung sprechen die vom Kreml kontrollierten Medienprofis über die sozialen Netze unterschiedliche Zielgruppen an. “Man schafft mit selektiven Informationen, Teilwahrheiten, Emotionalisierungen, Lügen und Inszenierungen eine parallele Realität”, analysiert der russische Soziologe Lew Gudkow.[8] Er bezieht sich damit auf den Ukraine-Konflikt, bei den Medien als Waffe in einem von Russland betriebenen, aber nicht erklärten Krieg gegen den Nachbarn eingesetzt wurden. Doch auch in Deutschland funktioniert diese Methode: Hier zielen die Desinformationskampagnen einerseits auf die russlandsprachigen Mediennutzer und andererseits auf die Grundempörten und Rechtspopulisten der Pegida oder AfD, auf die rechtsextremen Anhänger der NPD.

Eine russische Erfindung? Wie sich der Begriff Lügenpresse in Deutschland verbreitete

Die Diskreditierung von Medien hat in Russland selbst unter Putin schon vor mehr als einem Jahrzehnt eingesetzt: Systematisch wurden in Russland unabhängige Medienstimmen kaputtgemacht und verdrängt. Kritische Journalisten mussten um ihr Leben fürchten. Genau 10 Jahre ist der Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja her, die zur russischen Kriegsführung in Tschetschenien recherchierte. Gezielt wurde die Glaubwürdigkeit von recherchierenden Journalisten und unabhängigen Medien untergraben.

Seit 2014 gibt es auch in Deutschland einen Trend, Medien als unglaubwürdig und einseitig zu diffamieren, ihnen Professionalität abzusprechen. Er ist verbunden mit dem Begriff der „Lügenpresse“, der zuerst bei Pegida- und AfD-Demonstrationen auftauchte, später bei  Rechtspopulisten und Islamophoben im Netz. Der Begriff steht in einer unguten historischen Tradition: Oft wurde er im  Kontext des Ersten Weltkriegs eingesetzt. „Lügenpresse“ war hier die Presse der Feindstaaten. Die Nazis nutzten das Schlagwort, um Kommunisten und Juden und deren  Steuerung und Manipulation der Medien in Verruf zu bringen. „Ungehemmter denn je führt die rote Lügenpresse ihren Verleumdungsfeldzug durch“, schimpfte beispielsweise der Oberpropagandist Joseph Goebbels. „Lügenpresse“ wurde seit 2014 eine Standardvokabel der extremen Rechten in Deutschland. Rechtsextreme und Rechtspopulisten in Deutschland sind mit den russischen Medien einig darin, dass nicht nur die deutsche Polizei, sondern auch die Medien, Straftaten von Ausländern verschweigen. „Lügenpresse“ stigmatisiert journalistische Arbeit als einseitige Interpretation und Berichterstattung mit Schlagseite – und stilisiert die unmittelbare Meinungsäußerung, Kampagnen und Empörungslogik in den sozialen Netzen als Korrektiv und Wahrheit.

Soziale Medien als Vertriebskanal für russische Propaganda

Auf diese Echoräume, die me-sphere im Netz setzt die russische Propaganda. [9] Ein Beispiel ist die Kampagne #unsereLisa.

Anlässlich der Geschichte um die dreizehnjährige Russlanddeutsche Lisa schürten russische Medien sowie russischsprachige Einträge in sozialen Medien die Empörung unter ihren Nutzern. Das Berliner Mädchen, das über 30 Stunden als vermisst gemeldet worden war, sei von Flüchtlingen entführt und vergewaltigt worden, behauptete die Nachrichtensendung „Westi”. Medienübergreifend wurde die Kampagne in Gang gesetzt: Am 16. Januar sendete der staatliche erste Kanal eine Reportage, in der eine Tante des Mädchens detailliert Täter und Tathergang beschreibt und ein Onkel die Untätigkeit der Polizei beklagt.[10] Der Reporter berichtet zudem von einer Berliner Protest-Demo, auf der ein russisch sprechender Demonstrant zur Gewalt aufruft, weil Frauen und Kinder vergewaltigt werden. „Kein Mensch hat erwartet, dass solche Taten in einem zuvor sicheren Land wie Deutschland möglich sind“, so der Reporter-Kommentar. Eingeblendete Bilder zeigen Polizisten, die vor einer Asyl-Unterkunft stehen. An der Uniform der Beamten lässt sich allerdings unschwer erkennen, dass es sich nicht um deutsche, sondern um schwedische Polizisten handelt. Diese Reportage wurde dann in einer Version mit deutschen Untertiteln unter dem Titel „Berlin: dreizehnjährige 30 Stunden vergewaltigt“ über 1,7 Millionen Mal aufgerufen.[11] Die Reportage wurde, bis zur Aufklärung des Falls am 29.01.2016, 33.000 mal geteilt und mehr als 16.000 mal geliked. Auch der Teaser griff die Fehlinformation auf: „Wer erfahren möchte, welche Kapitalverbrechen der von Angela Merkel herangeschleppte, testosterongesteuerte und hoch kriminelle Migrantenmob mittlerweile in Deutschland verübt, erfährt dies unter anderem im GEZ-freien russischen Fernsehen“[12] – so wurde das Video beworben.IMG_1898

In der Folge forderten unzählige Facebook-Posts Russlanddeutsche auf, zu demonstrieren. Wer nicht mitmache, mache sich an der Schändung von Lisa und anderen Kindern mitschuldig, so hieß es. Bundesweit folgten am 4. Januar 2016 über 10.000 Menschen diesen Aufrufen. Der Berliner Ableger der ausländerfeindlichen Pegida-Bewegung, „Bärgida”, rief in der Folge unter dem Motto „Wir sind gegen Gewalt” zu einer Kundgebung gegen kriminelle Flüchtlinge vor dem Bundeskanzleramt auf, zu der 700 Menschen kamen.

Die Kampagne fand ihre Fortsetzung und Negativ-Höhepunkt auf offizieller politischer Ebene. Die russische Botschaft in London twitterte: „Die deutsche Regierung hat den Migranten ihr Land wie einen Teppich unter den Füßen ausgebreitet. Jetzt versucht sie, deren Verbrechen unter eben diesen Teppich zu kehren.“[13] Gipfel war eine Stellungnahme des russischen Außenministers Lawrow, der Deutschland – und zwar nicht nur den Medien, sondern vor allem der Bundesregierung – Vertuschung vorwarf. Hoffentlich werde nicht aus politischer Korrektheit „die Realität übermalt.“

Erprobte Methoden: der Pilotfall Ukraine

Die Realität zu „übermalen“ – das ist vielmehr die Methode russischer Medien. Über eine Vielzahl von Meinungen und Interpretationen zu einem Thema werden unterschiedliche Wahrnehmungen in Gang gesetzt. Eine Flut von Versionen und Informationen zu einem Sachverhalt entsteht – ohne Priorität, ohne dass Inhalte kuratiert, verifiziert oder recherchiert sind. Die Desorientierung des Nutzers wird nicht nur in Kauf genommen – sie ist beabsichtigt und Teil der Desinformationslogik. Was ist Wahrheit? Was bloß Vermutung oder Manipulation? In der Flut der Meldungen zu #unsereLisa ist das genauso wenig unterscheidbar, wie in der Berichterstattung über die Ukraine-Krise.

Der Fall #unsereLisa zeigt, dass die Desinformationskampagnen politische Ziele verfolgen. Erstmals erlebte die deutsche Öffentlichkeit genau das, was für die Ukraine, die baltischen Staaten – das nahe Ausland Russlands – seit 2013 schon tägliche Erfahrung ist – mit dramatischen politischen und sozialen Folgen, wie die aktuelle Lage in der Ukraine zeigt: Die Destabilisierung der nationalen Institutionen, die Diskreditierung eines Teils der Elite oder Teile der Gesellschaft und die Spaltung staatlicher oder sozialer Gemeinschaften. Mit Blick auf Deutschland und andere europäische Länder[14] zielt die Desinformation aus Moskau nicht auf territoriale Geländegewinne – aber auf soziale und politische Erschütterung und Empörung, vielleicht auch auf eine Destabilisierung unseres funktionierenden demokratischen Systems. Ziel ist es, Europas Gesellschaften zu spalten und Europa als politische Union auseinanderzutreiben.[15]

Desinformation – Waffe im hybriden Krieg

Dieser hybrider Krieg zielt auf die  Durchsetzung russischer Interessen im Ausland. Der Begriff wurde vom Kreml selbst eingeführt. Im hybriden Krieg spielen  Informationen und Desinformationen eine zentrale Rolle. Die Ukraine wurde seit  dem Frühling 2013 – und damit lange vor der Annexion der Krim – zum Pilotfall. Bereits im Januar 2013 sprach der russische Generalstabschef Walerij Gerassimow vor der Russischen Akademie für Militärwissenschaft zu diesem Thema. Gerassimow stellte klar, dass Kriege im 21. Jahrhundert nicht mehr auf konventionellem Wege zu führen seien, sondern vielmehr über „einen breit gestreuten Einsatz von Desinformationen, von politischen, ökonomischen, humanitären und anderen nicht militärischen Maßnahmen, die in Verbindung mit dem Protestpotenzial der Bevölkerung zum Einsatz kommen.“[16] Mit Blick auf die deutsche Öffentlichkeit wurde seit Beginn 2016 gezielt auf das polarisierende Thema „Umgang mit Flüchtlingen“ gesetzt – sowie auf das Empörungspotenzial der Rechtspopulisten.

In der Ukraine allerdings wurde der nicht-lineare Krieg sehr viel weiter getrieben – und das ganz im Sinne der russischen Militärführung. Es trat ein, was Gerassimow als Ziel der nicht-linearen Kriegsführung beschrieben hatte: Ein blühender Staat könne „in wenigen Monaten oder sogar Tagen in eine Arena für erbitterte bewaffnete Auseinandersetzungen verwandelt werden.“ Mit aller Macht wollte Moskau die Demokratie- und Europabewegung im Land stoppen. Aus Sicht des Kreml ging von den Protesten in der Ukraine dieselbe Gefahr aus wie von den Protestbewegungen in der arabischen Welt seit 2011. Aus Sicht des Kreml waren die Maidanproteste eine fingierte Aktion des Westens, ein Angriff auf die ganze russische Welt, explizit als eine „erste Etappe in einem Feldzug gegen die gesamte russische Nation“[17]. Auch in der Ukraine wurden manipulierte und falsche Informationen als Waffe eingesetzt, um die Menschen auf einen prorussischen Kurs zu bringen oder zu halten. Das geschah über russische Medien in Russland selbst – aber auch in der Ukraine und in den russischen Auslandsmedien. Dabei wurde der Sturz des korrupten Viktor Janukowitsch in den russischen Medien als Putsch einer russlandfeindlichen Junta dargestellt, welche die Ukraine in Gewalt und Anarchie gestürzt habe. Die Demonstrationen seien das Werk von Faschisten und Banditen, die Ukraine dürfe nicht Nazis überlassen werden.

Für die Desinformationskampagnen, die Russland über seine Auslands- wie Inlandsmedien in Gang setzt, gilt: Sie alle folgen denselben Mustern, genutzt werden etablierte Feindbilder, angeknüpft wird an tief sitzende Ängste.IMG_5129

Rechtspopulisten und rechtsextreme Gruppierungen und ihre Anhänger sind ein guter Hebel, weil sie den Werten nahe stehen, die Moskau in der Welt verbreiten will: Antiliberal, fremdenfeindlich, homophob – das kennzeichnet die russische Innenpolitik unter Putin. Das ist in Deutschland kaum mehrheitsfähig, unter Deutschlands Rechtsextremen und Rechtspopulisten sehr wohl. Deshalb ist die rechte Szene ein idealer Verteiler.

Ob hinter diesen beobachtbaren Zusammenhängen ein System steckt, das will jetzt auch das Bundeskanzleramt wissen. Im Februar bestätigte das Kanzleramt Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz den Bundesnachrichtendienst beauftragt habe, Informationen über die mutmaßlich vom russischen Staat betriebenen Informationskampagnen zu sammeln. Drahtzieher seien möglicherweise russische Geheimdienste.[18]

Zielt die Propaganda auf die Kanzlerin? Oder gar auf den größeren demokratischen Kontext? Unzweifelhaft ist, dass Russland gezielt rechte Gegner der Flüchtlingspolitik in Deutschland unterstützt. Sicherheitskreise beobachten, dass Verbindungen zu rechtspopulistischen und -extremistischen Gruppierungen gepflegt werden. Im März 2015 waren etwa 150 Rechtsextreme aus mehreren europäischen Ländern nach Sankt Petersburg eingeladen zu einer Veranstaltung der Kreml-treuen Vaterlandspartei (Rodina). Dazu gehörten neben dem Ex-Chef der NPD, Udo Voigt aus Deutschland, der frühere Vorsitzende der britischen Nationalpartei, Nick Griffin und Mitglieder der neonazistischen Partei „Goldene Morgenröte“ aus Griechenland. Die Jugendorganisation der AfD „Junge Alternative“ reiste zu Kongressen in die Ukraine und nach Serbien, die vom Kreml organisiert waren. Es gab sogar ein sicherheitspolitisches Seminar in Potsdam, das gemeinsam mit der russischen Botschaft organisiert wurde. Arbeitstitel des Kongresses übrigens: „Migration als destabilisierendes Element“.

Ex-Nachrichtenredakteur Alexej Kowaljow und seine Mitstreiter in Moskau versuchen – wie andere Projekte im Netz – Fälschungen und Unwahrheiten der russischen Medien aufzudecken. “Offenbar braucht die russische Propagandamaschine dringend Geschichten zur Ablenkung”, heißt es auf ihrem Blog. Ablenkung von dem freien Fall, in dem sich die russische Wirtschaft befindet, von den Einschränkungen der Bügerrechte, von der Bereicherung der Putin-Getreuen.

Der Informationskrieg des IS

Auch der IS kennt und nutzt die Mechanismen des Netzes für seinen Kampf um die Köpfe. Mossul im Irak, Kobane in Syrien oder der Grenzübergang al Anbar in Jordanien – unaufhaltsam verbreitet der IS seinen Kampf und sein Einflussgebiet. Die IS-Terroristen besetzen Territorien – und sie stecken auch im Internet ihre Einflussgebiete ab. „Syrien dürfte der erste Konflikt sein, in dem eine große Zahl westlicher Kämpfer ihre Beteiligung in Echtzeit dokumentieren. Und in dem soziale Medien eine essentielle Quelle der Information und Inspiration sind“, schreiben die drei Extremismus-Forscher um den deutschen Politologen Peter R. Neumann vom Londoner „International Centre for the Study of Radicalisation and political Violence“ (ICSR) in ihrer im April 2014 veröffentlichten Studie “Greenbirds”[19].Terroristen wollen Schrecken verbreiten – im Netz lässt sich dieser viral multiplizieren.

Die medialen Spielregeln kennt auch der IS. Nachdem er bis 2015 bis zu 20.000 Twitter-Accounts unterhielt, diese dann aber geschlossen wurden, setzt er zunehmend auf eigene technische und mediale Plattformen. Nach den Anschlägen von Paris kündigte der IS an, seine Informationen künftig vor allem im Dark Web anzubieten und zu vertreiben.

Zweck und Mittel bleiben die gleichen, die Botschaften auch. Differenziert zielen die Terroristen des IS mit ihren unterschiedlich aufbereiteten Informationen auf Menschen in allen Regionen der Welt und in verschiedenen Sprachen.[20] Gelassen gehen die Propagandisten des IS von einer hohen Medienkompetenz ihrer Anhänger aus: Der IS ist kein Verbund verarmter Kämpfer mit wenig Bildung – von seinen rund 50.000 Milizen nutzen viele soziale Medien – sie wissen um deren Wirksamkeit und nutzen sie entsprechend.

Profite finanzieren die Medienarbeit des IS

Im Gegensatz zu allen anderen Terrororganisationen verfügt der IS über einen riesigen und hochprofitablen Herrschaftsbereich: Jeweils ein Drittel der Fläche Syriens und ein Drittel der Fläche des Irak, mit einigen Millionen Einwohnern, die Schutzgeld und Steuern zu zahlen haben.[21] Insgesamt beliefen sich die Jahreseinnahmen des IS auf 1,4 bis 1,5 Milliarden Dollar. Soviel Geld im Hintergrund erklärt, dass sich der IS eine differenzierte  PR-Abteilung leisten kann, die Medieninhalte zielgruppengerecht und multimedial umsetzt. Dazu gehören traditionelle Medienprodukte sowie vier nicht arabischsprachige Zeitschriften des IS: die englische Version mit dem Titel “Dabiq”[22], die französischsprachige “Dar Al- Islam”,[23]  die türkischsprachige IS- Zeitschrift “Konstantiniyye”[24]  und für potenzielle Rekruten in Russland und den benachbarten zentralasiatischen Ländern gibt es mit „ISTOK“ eine Zeitschrift in russischer Sprache. Im Mittelpunkt stehen die Helden des IS: junge Männer, die bereit sind, ihr Leben im Dschihad zu lassen.  So titelte die türkischsprachige Zeitschrift „Konstantiniyye“ in ihrer dritten Ausgabe das Bild einer gewaltigen Explosion und die Überschrift “Märtyrertod-Operationen sind erlaubt und rechtmäßig”.

Ohne die digitalen Medien wäre die Globalisierung des IS nicht denkbar. Der islamische Staat nutzt soziale Netzwerke auf eine Weise wie das zuvor bei keiner anderen terroristischen Gruppe der Fall war. Zwar haben auch andere Extremisten, wie zum Beispiel die Al-Shabaab-Miliz in Kenia beim Angriff auf das Einkaufzentrum in Nairobi 2013 getwittert, aber der islamische Staat hat eine regelrechte Strategie für die sozialen Medien entwickelt. Er leistet sich ein professionelles Kommunikationsunternehmen, al Hayat Media Centers, das Filme produziert und im Netz viral verbreitet.

Es war unsexy, träge, unverständlich – das Image von Al-Qaida: Asketische, hoch gebildete Führungspersonen und Kämpfer. Ideologen, die ihre Botschaft hatten. Helden, die wenig erreichbar schienen. Die Medienarbeit von Al-Qaida war vergleichsweise hölzern und lud nicht zum Mittun ein. Das war kein Dialog, keine Beteiligung, sondern Einbahnstraßenkommunikation.

Der IS hingegen hat attraktive, massenwirksame Narrative geschaffen, die je nach Zielgruppe an deren kulturellen und individuellen Erfahrungen und Erwartungen angepasst werden. Mit Konten bei Netzwerken mit weltweiter Reichweite spricht der IS ein breiteres Publikum an als die meisten anderen Terrororganisationen. Ob Twitter, Facebook, tumblr, you tube, Instagram, justpaste oder sound cloud – die Nachrichten des IS werden den Gesetzen des Mediums entsprechend komponiert und produziert. Die Botschaft ist für die jeweiligen Nutzergruppen unterschiedlich verpackt: clean und ohne Blutvergießen für westliche Nutzer –  blutig und brutal für die Nutzer in den umkämpften Ländern. So gewinnt der IS junge Dschihadisten auch in Deutschland. Wie den 21-jährigen Arid Uka. Der junge Mann stammt aus dem Kosovo, lebte in Frankfurt und war als Leiharbeiter am Flughafen Frankfurt tätig. Weder das Bundeskriminalamt noch der Verfassungsschutz hatten den Mann im Visier. Am 2. März 2011 verübte Uka den ersten erfolgreichen islamisch motivierten Terroranschlag auf deutschem Boden, bei dem zwei Personen starben. Der Schock bei den deutschen Sicherheitsbehörden saß tief. Wie konnte das passieren? Wieso war dieser Mann total unbekannt? Die Antwort ist erschreckend: In relativ kurzer Zeit hatte sich der  Kosovare radikalisiert – vor seinem Computer in Deutschland. Wie viele andere konsumierte er die Propaganda radikaler islamischer Prediger. Er fand Gleichgesinnte, Anerkennung und Zuflucht in einer neuen, virtuellen Realität.

Das Video der Hinrichtung von James Foley (seit November 2012 verschleppt), das auf einer Internetseite, die solche Filme duldet, bisher 1,3 Millionen Mal angesehen wurde, ist an Nutzer im Westen adressiert.[25] Foley macht in orangener Guantanamo-Kluft die USA für seinen Tod verantwortlich, bereut, als Amerikaner geboren zu sein und spricht andere von jeder Schuld frei. Nach diesen Worten setzt der maskierte Killer, der Englisch mit britischem Akzent spricht, dem Journalisten das Messer an die Kehle und bewegt es. Dann verdunkelt sich das Bild. Es fließt kein Tropfen Blut. Die Enthauptung vor laufender Kamera ist wahrscheinlich vorgetäuscht.

Krieg mit anderen Mitteln

In den Videos, die sich an arabische Nutzer richten, ist die Sprache eine ganz andere: Wie in dem Video, das über elf Minuten die Ermordung rebellischer Staatsangehöriger vom Stamm der Schweifat nahe der syrischen Stadt Seir al Sor zeigt – und das an Brutalität nicht zu überbieten ist. Hier ist das Ziel: Abschreckung und Unterwerfung. Das hat gut funktioniert – in vielen syrischen und irakischen Orten ergaben sich die Menschen der zahlenmäßig unterlegenen Terrormiliz. Die kurdischen Peschmerga rannten Anfang August fast überall einfach davon.

Die Zielgruppe solcher Geschichten im Netz sind potenzielle Rekruten aus dem Ausland. Die sind meist jung, männlich und onlineaffin. Schätzungen zufolge sind zwischen 12000 und 15000 Ausländer in den Konflikten in Syrien und dem Irak auf Seiten des IS aktiv. Der Verfassungsschutz warnt vor einer „virtuellen Dschihad-Gemeinschaft“ im Netz, die natürlich auch in Deutschland lebt. Immerhin: 6200 Salafisten in Deutschland[26] meldet der deutsche Verfassungsschutz. Tendenz steigend. Und mehr als 150 junge Dschihadisten seien aus Deutschland ins Kriegsgebiet gereist, Tendenz ebenfalls steigend.

Kriege werden vor dem Bildschirm entschieden

„Es wird nie so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd“, wusste schon Otto von Bismarck. Im digitalen Zeitalter werden Kriege nicht mehr erklärt, sondern zunehmend über Information und Desinformation geführt und an Computer- und TV-Bildschirmen entschieden. Das wichtigste Schlachtfeld ist das Internet, wie es im Spiegel-Artikel „Das Ende der Wahrheit“ vom 30.1.2016[27] richtig heißt. Und wir, die deutschen Nutzer, sind eine strategisch wichtige Zielgruppe.

 

 

[1] Wichtiger Anlass war die Silvesternacht in Köln, die russische Medien zum Anlass nahmen, vor der Eroberung Europas durch die Flüchtlinge zu warnen, zum Teil mit fingierten und manipulierten Statements von angeblichen Flüchtlingen, z.B. in der Sendung “Завоевание Европы”, http://www.5-tv.ru/glavnoe/broadcasts/508981/328/

[2] Beispiele aus russischen Medien, die zeigen, wie Deutschland als ein Land dargestellt wird, das die Kontrolle verloren hat, als ein Land, in dem Chaos und Unordnung herrscht: “СМИ: власти Германии не имеют информации о 130 тысячах мигрантов на территории страны”unter http://www.1tv.ru/news/world/302799, „В Германии вынесен первый приговор по делу о беспорядках,которые мигранты устроили в новогоднюю ночь“ unter http://www.1tv.ru/news/world/302697, “Власти Германии обвинили российские СМИ в применении методов пропаганды времен “холодной войны”unter http://www.1tv.ru/news/world/302410 (Deutschland habe Russland vorgeworfen, Methoden aus dem Kalten Krieg anzuwenden).

[3] Meinungsumfrage zitiert nach Mandraud, Isabelle: „L’offensive mediatique russe vise l’Europe“, 12.2.2016, S. 2.

[4] Die Informationspolitik Russlands hat einen klaren Zweck: Russland, zumindest in den Augen und Ohren der Nutzer russischer Medien, wieder zu dem zu machen, was es sein sollte: eine globale Supermacht. Nirgendwo gelang diese Informationskampagne besser als in Syrien. Nicht nur medial, auch politisch hat Russland dort erreicht, worum es geht: Auf Augenhöhe mit den USA entscheidet Russland über Krieg oder Waffenstillstand.

[5] Aus der Ostukraine aber hat die Agentur nahezu ausschließlich wohlwollende Beiträge über die prorussischen Anhänger der von Separatisten gegründeten “Volksrepublik Donezk” im Angebot. Zudem dürfen Rechtsradikale wie der Brite Nick Griffin oder der NPD-Ideologe Olaf Rose bei Ruptly gegen die EU und ihre Ukraine-Politik hetzen.

[6] Laut Statistischen Bundesamt (Stand 2014) leben in Deutschland 2.927.000 Menschen erster und zweiter Generation aus den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion. Ethnische Minderheiten sind ein guter Hebel, um Zugang zu schaffen für Informationen aus russischer Sicht. Das gilt für die Separatisten in der Ost-Ukraine, für die russischen Minderheiten im Baltikum und nun offensichtlich auch für die Deutschland-Russen, als deren Schutzmacht sich Russland versteht. Deutschland ist in der EU neben den baltischen Staaten das Land mit der größten russischsprachigen Diaspora.

[7] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-127194954.html

[8] Gudkow ist Direktor des Moskauer Lewada-Zentrums, des führenden unabhängigen Meinungsforschungsinstituts in Russland.

[9] Desinformation hier verstanden als eine nach objektiven Maßstäben falsche Information, von der der Urheber oder diejenigen, die sie verbreiten, selbst wissen, dass sie falsch ist

[10] Vgl. http://www.1tv.ru/news/world/300073

[11] Versandt wurde diese deutsche Fassung von einer falschen Facebook-Gruppe unter dem Titel „Anonymus“.

[12] Freytag, Peter: Vereint im Propagandakrieg. Kontext: Wochenzeitung Nummer 253, 6. 2.2016, S. 1.

[13] Vgl. NTV: „Lawrow will Steinmeier anrufen“, 29.1.2016, vgl. www.n-tv.de/politik/Lawrow-will-Steinmeier-anrufen-article16888251.html

[14] Die Moskauer (Des)Informationskampagnen treffen aber auch die europäischen Nachbarn. Seit Oktober 2015 veröffentlichte der Auswärtige Dienst der EU einen wöchentlichen Überblick über die jüngsten Informationskampagnen. Auch das ungarische Forschungsinstitut Political Capital bestätigt enge Verbindungen zwischen einigen extrem rechten Parteien Europas und der aktuellen russischen Führung.

[15] Vgl. „Das Ende der Wahrheit“, in: Der Spiegel, 30.1.2016.

[16] Gutschker, Thomas: „Putins Schlachtplan“. In: FAZ 7.9.2014, vgl. http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/putin-hat-invasion-der-ukraine-seit-2013-geplant-13139313.html

[17] Ebd.

[18] Der Tagesspiegel, 20.2.2016, S. 4.

[19] Zwar werden die meisten Auslandskämpfer über persönliche Kontakte und Netzwerke ins Kriegsgebiet gelotst, doch das Internet spielt eine wichtige Rolle. Auch die Bundesregierung warnt: „Die Propaganda des IS und dessen Kämpfer, Unterstützer und Sympathisanten, die im Internet verbreitet wird, spielt eine zentrale Rolle bei der Rekrutierung neuer Kämpfer“. Vgl. http://icsr.info/wp-content/uploads/2014/04/ICSR-Report-Greenbirds-Measuring-Importance-and-Infleunce-in-Syrian-Foreign-Fighter-Networks.pdf

[20] Das erste Mal traf das David Pearl, den israelisch-amerikanischen Journalisten in Pakistan 2002.

[21] Allein in Mosul, der zweitgrößten irakischen Stadt, die die Terroristen Mitte Juni erobert haben, beliefern sich die sogenannten Steuern auf acht Millionen Dollar pro Monat, wie die libanesische Journalistin Mona Alami in einer Studie für die Carnegie Stiftung schreibt.

[22] An diesem Ort in Nordsyrien soll es zur Endzeitschlacht gegen die „Ungläubigen” kommen.

[23] Haus oder Herrschaftsbereich des Islams.

[24] Osmanische Bezeichnung für Istanbul, die an die islamische Eroberung des byzantinischen Konstantinopels und seine Umwandlung in die Hauptstadt des Osmanen- Kalifats erinnert.

[25] Eine Minute, elf Sekunden. Ein Mensch wird ermordet, die Kamera läuft. Anfang Oktober 2014 verbreitete die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ein Video im Internet, das die Enthauptung des Briten Alan Hennings zeigt, eines 47-jährigen Mitarbeiter einer Hilfsorganisation, der neun Monate zuvor in Syrien entführt worden war. Es war das vierte entsprechend inszenierte Video einer Enthauptung.

[26] https://magazin.spiegel.de/SP/2016/5/142149732/index.html